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Der Gute Ton 1950

Der Gute Ton 1950

Titel: Der Gute Ton 1950
Autoren: Hans H. Wiese
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sprechen, und dass man die Beziehungen zu Menschen
    abbrechen sollte, die ihren Kindern Geheimnisse anvertrauen oder vor
    ihnen über ihre Freunde schlecht urteilen. Das Kind darf bis zum
    nächsten Besuch wieder wild und ungezogen sein, dann spielt sich
    vermutlich die gleiche Komödie ab. Es ist falsch, wenn man ein Kind
    nur in Gesellschaft zu guten Sitten zwingt. Es sollte seinen Eltern
    gegenüber immer höflich sein.
    DIE KINDER SPRECHEN MIT IHREN ELTERN.
    Man hört vielfach mit Empörung von jener Zeit sprechen, in der die
    Kinder ihre Eltern in der dritten Person anredeten. Wir wollen die
    Beziehungen zwischen Eltern und Kindern im 19. Jahrhundert nicht
    unbedingt verteidigen und sie als musterhaft hinstellen. Aber es wäre
    auch falsch zu glauben, dass die Kinder damals besonders gelitten
    haben. Es ist viel bedauerlicher zu sehen, dass Eltern heutzutage stolz
    und glücklich sind, wenn sich ihre Kinder ihnen gegenüber
    rücksichtslos benehmen. Sie sind wahrscheinlich entzückt darüber,
    dass die Anrede »Vater und Mutter« unmodern geworden ist und
    durch andere Namen ersetzt wird. Sie können von Glück sagen, wenn
    sie nicht gerade die »Alte« oder der »Alte« geworden sind. Sie sind
    begeistert, dass die Kinder ihre Mutter wie eine Schwester und ihren
    Vater wie einen Bruder betrachten. Die Eltern sind Kameraden
    geworden, Mitschuldige und Verbündete, denen man seine
    Dummheiten anvertraut und die gelegentlich selbst eine Rolle bei den
    Max- und Moritzstreichen spielen.
    Man soll Kinder nie ermutigen, kindisch zu bleiben. Das wird aber
    zwangsläufig geschehen, wenn die Eltern deren dummen Streiche
    bewundern, vielleicht weil sie die Zeit zurücksehnen, in der sie selbst
    noch klein waren. Ein normales Kind will möglichst rasch selbstständig
    werden. Es versucht nicht ewig Kind zu bleiben. Wenn Eltern Einfluss
    auf ihre Kinder ausüben wollen, müssen sie Achtung von ihnen
    fordern. Dieses Ziel erreicht man am leichtesten durch einen gewissen
    Abstand. Wenn man zum Beispiel mit ihnen spielt, müssen die Kinder
    wissen, dass das Spiel sofort aufhört, wenn die Eltern es wünschen.
    Kinder dürfen dagegen nicht protestieren oder schreien, sie dürfen
    ebensowenig ihre Eltern in einer Unterhaltung unterbrechen und
    müssen lernen, ihre Eltern so höflich zu grüssen, wie sie einen fremden
    Menschen grüssen würden. Nur wenn man von einem Kind Achtung
    und Höflichkeit fordert, kann man von ihm verlangen, dass es sich
    auch Dritten gegenüber richtig benimmt. Gute Manieren werden zur
    Gewohnheit, man soll sich so jung wie möglich an sie gewöhnen.
    DIE ELTERN SPRECHEN MIT IHREN KINDERN.
    Eltern sollen nicht nur von ihren Kindern erwarten, dass sie ihnen
    gegenüber höflich sind, sie selbst sind ebenso verpflichtet, ihre Kinder
    mit Höflichkeit zu behandeln. Sie werden so früh wie möglich mit
    ihnen wie mit einem Erwachsenen sprechen. Sie werden sich vor allen
    Dingen bemühen, immer ausgeglichen zu sein und sich den Kindern
    gegenüber so zusammenzunehmen, wie sie es Fremden gegenüber tun.
    Wenn die Kinder heranwachsen, werden die Eltern aufhören, mit
    ihnen die Babysprache zu sprechen. In einem französischen
    Theaterstück fragt eine Mutter ihre vierjährige Tochter: »Wie deht es
    denn Mamas kleinem Schatziliebling«! Und die Tochter antwortet:
    »Aber Mutti, kannst Du denn nicht wie alle Leute sprechen!« es heisst
    doch: ,Wie geht es Dir?, wann wirst du denn endlich aufhören wie ein
    Baby zu reden?«
    Es ist nicht richtig, wenn die Eltern ihre Kinder anschreien. Es ist ein
    Zeichen eigener Unerzogenheit und ist darum meist wirkungslos. Das
    Kind fühlt sofort, dass sich die Eltern nicht beherrschen können. Es
    wird sich entweder vor ihnen fürchten oder warten, bis der Sturm
    vorbei ist. In beiden Fällen erreicht man nicht, was man will. Brüllende
    Verweise und Ermahnungen sind nur eine Strafe für die Nachbarn.
    Ohrfeigen und Schläge sollen in der Gegenwart anderer Kinder oder
    Erwachsener unbedingt vermieden werden. Zu diesen Mitteln sollte
    man nur in aussergewöhnlichen Fällen greifen. Man erzielt das
    gewollte Ergebnis leichter durch ein Spielverbot oder Entziehung einer
    Süssspeise. Wir wollen nur hoffen, dass die Eltern beim Prügeln ihrer
    Kinder nicht jenes Vergnügen empfinden, das dem Marquis von Sade
    seinen Namen verdankt. Man kann den Kindern Vorwürfe machen, sie
    müssen aber berechtigt sein und in ruhigem Ton gesagt werden. So wie
    ein gut erzogener Mensch einem
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