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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied
Autoren: Roland Mueller
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Aufschneider aus dem Norden, in ihren Augen alles Barbaren, die nichts von jener raffinierten Lebensweise verstanden, die sie in Konstantinopel wie anderswo im Byzantinischen Reich seit der Zeit der Römer pflegten. Für die christlichen Kreuzfahrer hingegen galten die Byzantiner als Abtrünnige. Weigerten sich diese doch, den Papst in Rom anzuerkennen. Aber sie marschierten nun als ein Heer gen Antiochia.
    Die Stadt war zu groß, selbst für das mächtige Heer der Kreuzfahrer. So belagerten sie die Stadt acht Monate lang. Sie verloren Hunderte von Kämpfern in den nasskalten Wintermonaten durch Krankheiten und durch Hunger. Immer wieder stellten sie sich den Türken in vielen kleinen Schlachten, bis es ihnen gelang, die Stadt, ein Jahr später, im Juni, zu stürmen.
    Sieben Monate rastete nun das Heer erst einmal in Antiochia. Dann führte Robert von Flandern das Gros der Ritter in Sichtweite der Heiligen Stadt.
    Als sie den Namen hörten, konnten sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie warfen sich auf die Knie und dankten Gott dafür, dass er sie das Ziel ihrer Fahrt hatte erreichen lassen.
    Die Heilige Stadt, wo unser Heiland die Welt erlösen wollte.
    Die Ritter rückten noch so weit vor, bis die Mauern und Türme der Stadt gut sichtbar wurden. Sie erhoben dankerfüllt ihre Hände zum Himmel und küssten demütig die Erde.
    Aber die Türken verschanzten sich hinter gewaltigen Wällen und zwangen das Christenheer erneut zu einer schier endlos dauernden Belagerung. Dann aber trafen die Genueser mit ihrer Flotte in Jaffa ein. Sie brachten Lebensmittel und Material. Damit konnten die Kreuzritter Leitern und hölzerne Türme bauen. Aber es sollte noch viele Sturmangriffe dauern, bis Raimund von Toulouse die heilige Messe in der zerstörten und barbarisch geschändeten Stadt lesen konnte.
    »Gott will es!«
    Zehntausende sollten ihr Heimatland nicht mehr wiedersehen. Über Pest und Ruhr, endlose Regenfälle, Hagelstürme, den schrecklichen Hunger und das alltägliche Sterben berichtet der Notarius eher beiläufig.
    Jerusalem ward befreit durch christliche Streiter.
    Dies geschah im Jahre 1099 und wird in der Chronik nicht ohne Stolz bemerkt.
    »Gott will es!«
    Anbei: seinen Namensvetter, den englischen König, hatte der Welfe nicht für die gerechte Sache gewinnen können. Heinrich, König von Britannien, lobte wohl den Gang der Streiter mit guten Worten. Er versprach zu beten. Stimmen jedoch behaupteten, sein Zögern hätte einen anderen Grund: Seine Frau, die schöne Eleonore von Aquitanien, könne keinen Moment ohne seine wachsame Aufmerksamkeit bleiben. Viel zu viele Männer rühmten und besangen ihre Schönheit. Und während sie dies taten, verzehrten sich ihre Gedanken in sündigen Träumen nach dem untadeligen Leib der jungen Königin. Spöttische Zungen behaupteten gar, die große Zahl englischer Ritter im Heer des Welfen seien alles Verschmähte. Abgewiesene Werber, die in den Heiligen Krieg zogen, um im Kampf zu fallen und damit ihre verzehrende Liebe zu vergessen.
    Bei diesen bewegenden Ereignissen in diesem Jahr ist es nicht erwiesen, ob ein Notarius auch von den heißen Tagen im sonst so gemäßigten Britannien berichtete.
    Seit vielen Wochen litt das gesamte Abendland unter der sengenden Sonne. Die Luft flimmerte über den sanften Hängen von Kilgary, genauso wie sie ohne einen Lufthauch über den verbrannten Gerstefeldern der Provence und den welken Obsthainen im Welschland stand.
    Der römische Seehafen Ostia war seit Wochen ausgetrocknet. Nicht einmal in den Blütejahren des alten Roms war so etwas vorgekommen. Auch in Bristol und London konnten nur noch ganz flache Kähne anlegen. Der Handel mit anderen Provinzen war zum Erliegen gekommen. Die einst so blühenden Landschaften verdorrten. Es herrschte Hunger. Die Obrigkeit belegte den Diebstahl von Korn mit schweren Strafen. In der Lombardischen Ebene ließen die Fürsten ihr Getreide bewachen. Überall war Mehl jetzt wertvoller als Gold.
    Der Brotpreis in allen englischen Grafschaften stieg ständig an. So verlangte man in London für einen Scheffel Mehl jetzt 18 Pence. Einst kostete dieselbe Menge acht Pence.
    Selbst die weise Frau, die uralte Bess, konnte sich nicht an solch heiße Tage erinnern. All die sorgenvollen Frager unweit des Hauptmarktes zu London wussten von ihrer Gabe des Sehens. Aber Bess war sich ihrer eigenen Weissagungen nicht mehr so sicher. Lieber schwieg sie. Und das machte alles nur noch unsicherer.
    ***
    Die Sonne stand
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