Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied
Autoren: Roland Mueller
Vom Netzwerk:
Mann geworden, der einfach, aber sauber gekleidet war. Nach wie vor war das Haus groß und leer. Aber es erschien ihr nicht mehr so kalt und unfreundlich.
    Das Lehrgeld lehnte der alte Meister ab. Er erklärte ihr, dass er auch in Zukunft nichts von ihr annehmen würde. Gwyn sei weiter in seiner Ausbildung als jemals ein Faberlehrling zuvor.
    »Die Menschen aus der Nachbarschaft kommen und lassen einfachen Schmuck ändern oder gar neu fertigen. Einen Ring, eine Spange. Nicht viel, aber es genügt zum Leben. Sogar zwei Leuchter für den Altar des Adam Bethel werd ich fertigen. Dein Sohn hat mich mit dem Leben und meinem Handwerk versöhnt. Ihr schuldet mir nichts, Frau Carlisle.«
    Bei diesen Worten weinte er plötzlich still und sah dabei aus seinem kleinen Fenster hinaus über den Fluss. Es war ein Weinen ohne Trauer. Eyleen war wieder ein wenig stolz und gleichzeitig verwirrt.
    Bald war der Ruf des Peter Fallen und seines Wunderlehrlings überall in London zu hören.
    ***
    Gwyn lernte alles, was ein Goldschmied seiner Zeit wissen musste, denn Fallen besaß einen schier unerschöpflichen Fundus von Entwürfen und Ideen, Formeln und uralten Tabellen. Der Junge konnte über die kunstvollen Pergamente nur staunen, die der Alte unter seinem Bett oder in alten Truhen verwahrt hatte. Skizzen und Zeichnungen von Schmuck und Kirchengefäßen, kunstvollen Schreinen und Skulpturen.
    Fallen lehrte ihn die verfeinerte Anwendung der Glasstaubausschmelzung und wie man Gold von anderen Metallen trennt. Er lehrte ihn, welch feines Material das reine Silber ist und wie man es raffiniert bearbeitet. Stundenlang studierten sie beide die berühmten Skizzen des Villard de Honnecourt und diskutierten seine Linien und Entwürfe. Gwyn erfuhr, wie der Bernstein poliert wird, bis er in jenem begehrenswerten warm-gelben Ton schimmert, der an Honig erinnert, wie der Faber Korallen schneidet, bis man die dünnen, feinen Stücke zum Schmücken von Schreinen und edlen Schatullen nutzen kann, wie er Elfenbein so schnitzen kann, bis es mit Zierat über und über bedeckt ist.
    In all diesen Erkenntnissen war Gwyn ruhelos. Wie ein Schwamm sog er alles Neue auf, um es bald wieder anzuwenden. Er ruhte dabei nicht eher, bis er selbst gute Arbeiten vorzeigen konnte. Und all dies fiel ihm leicht und gelang ihm immer besser.
    Fallen aber konnte sich nicht erinnern, jemals einen solch talentierten Menschen erlebt zu haben.
    Zweimal in der Woche verschwand Fallen für einen ganzen Tag lang. Eingehüllt in einen weiten Mantel, hängte er sich ein fest verschnürtes Bündel um und verschwand, meist gegen die Mittagszeit. Niemals verriet er Gwyn, wohin er ging. Und der Junge wagte es nicht, zu fragen. An solchen Tagen sprach der alte Meister wenig. Er trug ihm schon am Tag zuvor Arbeiten auf, die er bis zum Abend ausführen sollte.
    Erst wenn die Sonne längst untergegangen war, kehrte der alte Mann zurück. Dann war er müde und verlangte zu trinken, bevor er in seiner Kammer verschwand und schnell einschlief. Nur selten wollte er noch ein wenig zu essen.
    So geschah es auch an diesem Tag.
    Am frühen Morgen hatte der Meister einige Aufgaben erwähnt, die Gwyn ohne sein Beisein alleine bewältigen sollte. Da wusste der Junge, dass er den heutigen Tag wieder alleine verbringen würde.
    Kurz nach dem leichten Mittagsmahl verschwand der Meister wie gewohnt. Gwyn sah ihm lange vom Fenster der Werkstatt nach. Die enge Gasse, bis zur Brücke, konnte er ihn sehen. Wie er so ging, müde und mit langsam schlurfenden Schritten, den Körper auf seine Krücke gestützt. Gwyn beobachtete, wie der alte Mann in der Menschenmenge verschwand, die tagaus, tagein über die Brücke strömte. Er war sich sicher, dass der Mann in einer der winzigen Seitengassen verschwand. Aber wohin ging der alte Goldschmied? Außer Eldrige, dem Schankwirt, kannte er niemanden näher. Traf er eine der liederlichen Frauen, die für einen Pence den Rock hoben und sich von ihren Kunden an der Scham oder den Brüsten berühren und für drei Pence auch besteigen ließen? Gwyn verwarf diesen Gedanken jedes Mal erneut. Sein Meister, der das wenige verdiente Geld in Werkzeug und Material anlegte, und ein Frauenzimmer?! Der Gedanke schien zu seltsam. Aber wohin sonst verschwand er mit solcher Regelmäßigkeit?
    Dieses eine Mal beschloss Gwyn, seine Neugier nicht mehr länger zu zügeln. Es war weit mehr als eine Stunde vergangen, seit der Meister an diesem frühen Nachmittag fortgegangen war. Gwyn hielt es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher