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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied
Autoren: Roland Mueller
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Himmel.
    Da die Männer mit der am Boden liegenden Frau beschäftigt waren, bemerkte niemand meinen Vater, bis er auf wenige Schritte herangekommen war. Der Hauptmann mit dem Eisenhut war der Erste, der aufblickte. Erschrocken ließ er den Apfel fallen. Seine Hand fuhr zum Schwertgriff, doch da pfiff bereits die Sense durch die Luft. Im Moment des Aufpralls schloss ich die Augen, und als ich sie wieder öffnete, sah ich den Hauptmann rückwärts taumeln, den ledernen Brustharnisch zerschnitten und klaffend.
    Nun bemerkten auch die übrigen Männer den tollkühnen Angreifer und sprangen auf. Mein Vater jedoch, dem ein verzweifelter Zorn übermenschliche Kräfte zu verleihen schien, warf sich ihnen schreiend entgegen, und bevor sie nach ihren Waffen greifen konnten, fuhr das Sensenblatt in einem mächtigen Halbkreis umher und ließ sie zurückweichen. Der Ritter reagierte als Letzter und mühte sich erschrocken, auf die Füße zu kommen, doch behinderte ihn die herabgezogene Hose, so dass er stolperte und auf Hände und Knie niederfiel. Erneut kreiste die Sense, und diesmal streifte sie das nackte Gesäß des Mannes und hinterließ eine blutende Wunde auf der linken Hälfte. Der Ritter brüllte vor Wut und Schmerz, rollte sich herum, kam endlich auf die Beine, wich einem weiteren Hieb der Sense aus und zog sein Schwert.
    Was dann geschah, nahm ich wie durch einen Nebel der Betäubung wahr, dennoch prägte sich mir jedes einzelne Bild unauslöschlich ein. Der Ritter drang auf seinen Gegner ein und schwang das Schwert. Der erste Streich wehrte das eiserne Blatt der Sense ab, der zweite Streich ließ den hölzernen Schaft zersplittern, der dritte traf die Schulter meines Vaters. Der vierte ließ ihn auf die Knie sinken, und der fünfte warf seinen dürren Leib rücklings in den Staub. Im nächsten Moment sprangen die Fußknechte hinzu und hieben mit Äxten und Streitpickeln auf ihn ein. Kein Schrei ertönte mehr; mein Vater starb ohne einen weiteren Laut – der Einzige, der schrie, war ich, verborgen im Schatten hinter der Tür meines Hauses. Besinnungslos schrie ich, während heiße Tränen meinen Blick trübten und ich meinte, der Schrei müsse mir die Kehle zerreißen und mein hämmerndes Herz zerspringen lassen.
    Sofort wandten sämtliche Männer die Köpfe und starrten herüber. Die Fußknechte packten ihre Waffen und kletterten über den Zaun, während der Ritter sein blutbesudeltes Schwert abwischte und seine Kleider ordnete. Der Ansturm der Mörder brachte mich augenblicklich zur Besinnung, und mein Zorn wich nackter Todesangst. So sprang ich hinter der Tür hervor, rannte an der Längsseite des Hauses entlang und bog um den nördlichen Giebel, um außer Sicht meiner Verfolger zu gelangen.
    Kurz hielt ich inne, denn das Haus meines Vaters lag am äußersten Ende des Dorfes, und in dieser Richtung führte nur ein schmaler Pfad zu einem weiter entfernten Waldstück. Mit einem raschen Rundblick nahm ich wahr, dass das gesamte Dorf brannte und vom Schlachtenlärm widerhallte. Wahrscheinlich war in den Häusern und Ställen kein Mensch mehr am Leben. Selbst das Herrenhaus des Verwalters auf dem nahen Hügel stand in lodernden Flammen.
    Ich traf meine Entscheidung, als ich eben hörte, wie die Fußknechte hinter mir um die Ecke bogen. Die Plünderer waren von Süden gekommen; also war der Norden die Richtung, die ich einzuschlagen hatte. Ich rannte los, mit rasendem Puls und keuchenden Lungen, fort von den Häusern und quer über das offene Land. Eine Wildwiese glitt unter meinen Füßen dahin, und hohes Gras rauschte mir um die nackten Beine. Dann tanzten die Umrisse der Bäume auf mich zu, und ich warf mich ins Dickicht, wobei mein Kittel sich an einem niedrigen Ast verfing und der Länge nach aufriss.
    Ich wusste nicht, ob die Männer mir noch immer auf den Fersen waren, doch um nichts in der Welt hätte ich mich umgewandt, um es festzustellen. Stattdessen rannte ich weiter, immer tiefer in den Wald hinein, wobei ich über Steine und Gräben, über Wurzeln und Stümpfe, über Farne und Büsche sprang, bis meine nackten Füße blutig und zerkratzt waren. Noch immer meinte ich, das Geschrei der Kriegsmannen, das Schnauben der Rosse und das Klirren der Schwerter in meinem Rücken zu hören, und so hielt ich nicht inne, bis die Sonne ihren Höhepunkt überschritt und ich mich weiter von meinem Dorf entfernt hatte als je zuvor.
    Wie es weitergeht, erfahren Sie in:
    Wolfgang Jaedke
    Die Tränen der Vila
    Historischer
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