Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied
Autoren: Roland Mueller
Vom Netzwerk:
nicht mehr länger zurück. Zum ersten Mal ließ er absichtlich seine Arbeit liegen. Er band sich den feinen Schurz ab und legte ihn behutsam immer in einer Richtung zusammen. So fiel der feine Metallstaub aus Silber nicht auf den Boden, sondern blieb auf dem glatten, zarten Leder liegen.
    Gwyn würde seine Arbeit rechtzeitig zu Ende bringen, flink und geübt, wie er mittlerweile war. Fast 15 Monate stand er bereits im Dienste des Fabers. Vom ersten Tag an hatte es ihm das riesige, alte Haus angetan, das ihn in manch einer Nacht lange nicht einschlafen ließ. Besonders dann, wenn es anfing zu erzählen, mit seinen zahllosen, seltsamen Geräuschen.
    Durch die gute Auftragslage hatte Fallen etwas Geld gespart. Auf seinen Wunsch hin hatte ein Maurer mit zwei Gehilfen einen weiteren Raum neu verputzt. Argwöhnisch beobachtete Fallen die Arbeiten die ganze Zeit über. Dabei achtete er streng darauf, dass der übrige Teil des Hauses von niemandem betreten wurde.
    Das Haus war groß und besaß noch ein ganzes Stockwerk. Darüber lag ein Dachboden. In früheren Jahren mussten hier wenigstens ein Dutzend Menschen gewohnt haben. Vielleicht Fallens Familie und das Gesinde? Gwyn hatte den Meister einmal gefragt, warum er weitere Räume nicht für ein paar Pence vermieten wolle. Wäre dies doch ein gutes Zubrot gewesen. Aber Fallen hatte ihm nur einsilbig geantwortet und schließlich weitere Fragen verboten. Der Junge verstand, dass der Mann darüber nicht sprechen wollte.
    Gwyn zündete ein Wachslicht an und stieg eine steile Treppe in das erste Stockwerk hinauf. Dort fanden sich eine Reihe enger Räume. Alle standen seit langem leer. Durch die stete Feuchtigkeit begannen die Böden, wie auch die Wände, bereits langsam zu zerfallen. Das ganze Haus sog das Wasser der nahen Themse auf. Es roch stark nach feuchtem Kalk. Ganz langsam schlich Gwyn durch einen langen, schmalen Gang. Raum für Raum leuchtete er mit seinem Licht zaghaft aus. Die wenigen kleinen Fensteröffnungen waren allesamt einmal vor langer Zeit zugemauert worden.
    Er konnte jedoch nichts von Besonderheit entdecken. Nur einmal schien sich ein Haufen alter Lumpen auf dem Boden zu bewegen. Eine kleine Ewigkeit lang wagte der Junge keine Bewegung. Es waren jedoch nur zwei große, hagere Ratten, die sich dort soeben gepaart hatten. Er war nicht furchtsam, aber das finstere, so scheinbar stille Haus erschien ihm auf einmal besonders unheimlich. Aber die Neugier trieb ihn weiter. So untersuchte er behutsam Kammer für Kammer.
    Dann hörte er es deutlich, jenes seltsame Geräusch über seinem Kopf. Es kam aus der Dachkammer. Die Decke bebte ganz leicht. So, als ob sich dort irgendjemand ganz langsam bewegte. Gwyn lauschte mit angehaltenem Atem. Sein Herz pochte so laut, dass er meinte, man müsste es im ganzen Haus hören. Kein Zweifel! Er war in diesem Haus ganz allein, und doch bewegte sich etwas dort oben. Auf einmal erinnerte er sich einen Augenblick lang daran, wie er ähnlich ängstlich gewesen war, als er als Kind mit anderen Kindern ins nahe Beinhaus geschlichen war … Das Windlicht würde ihn bestimmt verraten. Trotzdem wagte er nicht, es zu löschen, aus Angst vor der Dunkelheit. Mit einer Hand schirmte er es ab. Jetzt wirkte sein Schatten an der nackten Wand noch bedrohlicher.
    Gwyn fürchtete sich.
    Am Ende des langen, hohen Ganges führte eine weitere Stiege auf den Speicher. Wie unter einem Zwang schlich er langsam die Stufen hinauf. Die alten Bohlen knarrten bei jedem Schritt. Stufe für Stufe folgte er, an seiner rechten Schulter die Mauer, denn die Stiege hatte kein Geländer, dem Weg bis unter die Decke. Er erreichte eine Dachluke. Noch immer traute er sich nicht, das Licht zu löschen. Er lauschte mit angehaltenem Atem. Aber es war kein Laut mehr zu hören. Trotzdem war er sich sicher, keiner Einbildung aufgesessen zu sein. Ganz deutlich hatte er Geräusche gehört.
    Nun war es auf einmal still. Gerade so, als ob diese alten Mauern ihn beobachteten, wie weit er in seiner Neugier noch gehen würde.
    »Sicher ist das Haus voll Ratten und Mäusen«, murmelte Gwyn ganz leise, nur für sich.
    Er beschloss, sich hier oben umzusehen. Dann, so versprach er insgeheim, würde er nie wieder in Fallens Haus herumstöbern.
    Langsam stemmte er den Lukendeckel auf. Dies geschah ohne das geringste Geräusch. Erneut hielt er einen Moment still und lauschte.
    Er wunderte sich ein wenig.
    In diesem uralten Haus, in dem jeder Hauch ein Geräusch machte, traf er auf diese
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher