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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied
Autoren: Roland Mueller
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London an den Ersten der Stadt. Sein verkrüppeltes Bein hatte ihn gehindert, selbst die Glanzstücke der Schmiedekunst in Augenschein zu nehmen.
    Während Gwyn mit Begeisterung von der feierlichen Zeremonie erzählte, erinnerte sich Fallen. Einst hatte er viele Lehrlinge ausgebildet. Sicher waren bei der Messe zu Ehren des Schutzheiligen der Goldschmiede etliche seiner ehemaligen Schüler dabei gewesen. Ja, es waren einmal große Zeiten für ihn und sein Haus gewesen. Aber dies war längst vorbei. Er wollte nicht darüber nachdenken, denn sonst würde er sich wieder an die schrecklichsten Momente seines Lebens erinnern. Nein, er wollte nicht daran denken, welch unendliches Leid ihm damals alles genommen hatte. Seit dem Unglück mieden sie ihn alle wie einen Aussätzigen. Nur aus der Vereinigung der Faber hatten sie ihn nicht entlassen. Noch immer war er berechtigt, Lehrlinge aufzunehmen und ihnen das große und edle Handwerk beizubringen.
    Gwyn hatte mit seiner Erklärung längst geendet, und wie seine Mutter blickte er noch immer stumm auf den alten Meister.
    »Kannst du lesen, schreiben? Verstehst du etwas von Mathematik?«
    »Ja, Herr! Ich kann Britisch und Latein lesen und auch schreiben. Dies und Mathematik lehrte mich Bruder Humbert von den Brüdern des heiligen Dominikus.«
    Fallen schloss wieder für einen Moment die Augen. Noch einmal einen Lehrling haben! Würde ihm überhaupt noch die Zeit bleiben, den Jungen all das zu lehren, was er selbst wusste? Man hatte ihn bis zum heutigen Tag geächtet, aber nicht ausgeschlossen. Von der Zunft hatte er nichts zu fürchten.
    Aber würde er ihn noch arbeiten und lehren lassen?
    War dies gar die letzte Möglichkeit, sein so armseliges Leben noch einmal ein wenig zu ändern?
    Er blickte Gwyn und Eyleen an. Seine Stimme war jetzt nicht mehr unfreundlich. »Ich muss dich prüfen, Junge. Wenn du etwas taugst, lehre ich dich das Handwerk.«
    Er wandte sich an Eyleen. »Dies versprech ich dir, Frau.«
    Sie nickte freudig und umarmte ihren Sohn. Die Worte, die Fallen gebraucht hatte, waren so bindend wie ein geschriebenes Pergament.
    Kein Notarius berichtete in einer verbrieften Chronik über das Ende der großen, sengenden Sommerhitze in jener Nacht. Ein schweres Unwetter zog herauf, ein Sturm, von der Atlantischen See kommend. Er fegte über die große Insel hinweg, und nichts hielt den Wind in seiner Kraft auf.
    In London stürmte und regnete es ohne Unterlass. Bis zum nächsten Morgen.
    ***
    Mehr als ein Jahr lernte Gwyn unter der Obhut von Peter Fallen. Anfangs war der alte Meister mürrisch und wortkarg geblieben. Nach und nach jedoch verschwand die Verbitterung immer mehr. Der alte Goldschmiedemeister war Kenner genug, um bald fest- zustellen, welch eine unglaubliche Begabung dieser Gwyn Carlisle war. Der Junge schien wie geschaffen für dieses Handwerk. Er war wissbegierig, klug und besaß jene natürliche Eigenschaft, neu Erfahrenes sofort auszuprobieren oder gar Neues zu schaffen. Mit unglaublichem Geschick setzte er die Anweisungen seines Meisters in die Tat um. Dabei unterlief ihm kaum ein Fehler. Die Finger des Jungen schienen so schnell und geschickt zu sein, wie Fallen es nie zuvor bei einem Lehrling gesehen hatte. Es war ihm wohl bewusst, welch ein außergewöhnliches Talent er ausbildete. Er beschloss, Gwyn Carlisle zu formen, als sei der ein kostbarer Stein.
    Gwyn war der alte Mann anfangs kalt und barsch, ohne ein Gefühl erschienen. Schnell bemerkte er das große Herz, das unter einem unbekannten Leid verborgen war.
    Er entwickelte im Laufe der Wochen immer mehr Zuneigung zu dem alten Faber. Er spürte, wie sein Leben nun mit einer Aufgabe betraut wurde, die ihm wie vorbestimmt erschien.
    Eyleen hatte die erste Zeit mit ein wenig Unbehagen beobachtet. Wenn Gwyn sie besuchte und dann aufgeregt, mit glühenden Wangen, von seiner Arbeit berichtete, war sie wohl stolz auf ihn. Gleichzeitig hoffte sie inständig, dass sich ihr heimlicher Wunsch erfüllen würde: Gwyn sollte einmal Goldschmied in der Zunft der ehrwürdigen Faber aurifex zu London werden. Würde ihm dies gelingen, sie müsste ihr Leben nicht im Armenhaus oder gar auf der Straße beenden. Für diese Aussicht würde sie jedes Opfer bringen.
    Zum vereinbarten Zeitpunkt machte sie sich auf, Peter Fallen die erste Rate des ausgemachten Lehrgeldes zu bringen. Sie war erstaunt, schien das Haus des Fallen, wie auch er selbst, wie verwandelt. Aus dem vergrämten, verwahrlosten Greis war ein würdevoller
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