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Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher
Autoren: Roland Adloff
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einige gekrümmte Blätter, die dem Sturm der letzten Nacht getrotzt hatten. Es war die Jahreszeit, die Lips am meisten mochte, wenn die Natur abstarb und jeden Tag ihr Gesicht wechselte. Er atmete gegen die Angst und summte, um nichts mehr zu hören, laut die Melodie eines Kinderliedes. Mit den Füßen stieß er durch das heruntergefallene Laub. Aus dem Augenwinkel sah er hinüber zur Schenke und zog den frisch aufsteigenden Moderduft ein, dann sammelte er rasch einige Kastanien auf, die er aus ihrer stacheligen Hülle brach, und überlegte dabei fieberhaft, was der Schwarze Frieder wohl mit dem Vater zu besprechen hatte, dass gerade er auf Wache geschickt worden war.
    Der Mund war ihm trocken, und er schöpfte am Bach ein paar Schluck Wasser. Wieder ein aufheulender Schrei! Nein, er wollte doch nichts mehr hören! Lips' Schritte gingen in Laufen über. Weg! Nur weg von hier! Er rannte den Pfad hinauf bis auf die Anhöhe, stellte sich auf den Grenzstein und atmete tief durch. Die Wolken jagten am Himmel, hetzten und drängten aneinander vorbei. Drüben im Sächsischen war niemand zu sehen, auch nicht auf dem Diebespfad, den von hier oben nur Eingeweihte aus der Diebeswelt der Kochemer erahnen konnten. Lips kletterte auf einen Felsvorsprung, von dem aus er an guten Tagen über die Grafschaft Stollberg hinaus weit bis ins Böhmische blicken konnte, wo sich jetzt der Himmel dunkel zusammengezogen hatte. Eine tiefschwarze Regenwand baute sich am Horizont auf, breitete sich beharrlich aus und schob sich über die Berge. Der Wind fuhr Lips durch die Jacke, ihm fröstelte und er zog sich den Kragen zusammen. Nirgends war jemand zu sehen. Wie konnte der Vater nur so grausam sein und Safrans-Georg, mit dem er oft gewürfelt hatte, so quälen?
    Lips kletterte wieder hinunter, holte die Kastanien aus der Tasche und warf sie, so weit er konnte, zur Grabich-Schenke hinunter. Wenn die Bäume voll im Laub standen, lag die Diebesherberge mit den   angrenzenden Ställen, Scheunen und dem Backhaus wie unter einem Teppich begraben. Jetzt sah alles ganz unscheinbar aus, sogar trist und heruntergekommen, und nichts ließ den Protz oben in den Stuben der Haupträuber erahnen. Lips holte weit aus und zielte auf das Dach des Viehstalls. Eigentlich konnte er froh sein, dass sie ihn rausgeschickt hatten und sich nicht noch mehr Bilder in sein Gedächtnis einbrannten. Er hatte schon zu viel mitbekommen, sah das zerschundene Bein von Safrans-Georg, der Vater stand mit dem Brecheisen über ihm, Safrans-Georg wand sich, winselte in Todesangst auf, genauso wie Lips damals, als Arnold, der geliebte Patenonkel, noch lebte. Alles war Lips noch heute vor Augen, als würde es gerade erst passieren, und die alten Bilder, wie der Vater über ihm gestanden hatte, vermischten sich mit denen vom gequälten Safrans-Georg. Lips war damals nach der Stallarbeit ahnungslos in den Schankraum getreten, hörte noch etwas hinter sich und wollte sich gerade wegducken, da stieß ihn jemand zu Boden.
    »Hören wirst du!«, schrie der Vater mit wutentbranntem Gesicht. Lips wusste nicht, was die Mutter wieder über ihn erzählt hatte, schon holte der Vater mit dem Gürtel aus. »Rausschlagen werd ich dir den Willen!«
    Es surrte durch die Luft. Lips sah noch den Schatten, wie die silberne Gürtelschnalle abriss, dann ein dumpfer Schlag in seinem Gesicht. Er fasste in die zerfurchte Stirn, die Hände nass vom Blut. Der Vater tobte weiter, er war wie im Blutrausch und griff nach dem Brecheisen, mit dem er immer die Verteilung der Diebesbeute dirigierte. Der Harn schoss Lips in Todesangst ab, er sah, wie der Vater wieder auf ihn losging, die Knöchel seiner Faust weiß entfärbt vom festen Griff.
    Lips wollte die Hände schützend vor sein Gesicht schlagen. Das also war das Ende, und eine merkwürdig gefasste Leere kam über ihn. Da sah er Arnold, der die Treppe hinunterhastete. »Nicht Tullian!« Der Vater stieß den alten Mann achtlos zur Seite und fasste das Brecheisen nach.
    »Du bringst den Jungen doch um!«, rief Arnold und versuchte nach dem Brecheisen zu greifen, es dem Vater zu entwinden, ein kurzes, hilfloses Gerangel. Arnold flog über einen Stuhl, die Mutter wich mit den anderen Gaffern zurück. Der Vater ging langsam auf Arnold los, der sich aufraffte, zurückwich, bis er mit dem Rücken zur Wand stand. Lips war starr vor Angst um Arnold. Plötzlich zog dieser ein Messer aus dem Stiefel, der Vater lauerte zum Schlag.
    »Schluss jetzt!«, schrie Frieder und
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