Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher
Autoren: Roland Adloff
Vom Netzwerk:
nach einem Schlüsselbund, dann führte er Lips weiter. Vor einer Tür blieb er stehen und hielt ihm die offene Hand nach Biergeld hin.
    »Morgen«, flüsterte Lips. »Morgen hab ich das Geld.«
    »Auch das andere?«, fragte der Kerkermeister mit gehetzter Stimme.
    »Ja, zweitausend Taler.«
    »Gut, wir haben aber nicht mehr viel Zeit. Samstag ist Richttag! Es muss morgen Nacht passieren, sonst geht's nicht mehr. Der Pfarrer wird dann bei Tullian bleiben, bis sie ihm den Kopf runterschlagen.«
    »Morgen schon?«
    »Ja, wir treffen uns nachmittags in der Vorstadt. Im Güldenen Euter. Bring die 2.000 Taler mit.«
    »So viel kann ich nicht tragen.«
    »Lass dir was einfallen.« Der Kerkermeister suchte im Bund nach einem Schlüssel und wies mit dem Kopf auf die Tür, vor der sie standen. »Willst du ihn noch sehen?«
    Lips nickte. »Die Arznei noch.«
    »Ach ja.« Der Kerkermeister sah mit langem Hals den Gang hinunter, dann reichte er Lips das Päckchen und schloss die Tür auf. »Geht aber nicht lange.« Er reichte Lips sein Talglicht und blieb in der Tür stehen. Mit klopfendem Herzen trat Lips in den Kerker. Es stank süßlich-scharf nach Kot, Urin und eiternden Wunden. Auf dem Boden kauerte eine menschliche Gestalt. Lips hielt das Talglicht vor sich und ging langsam näher. Die Gestalt drehte ihm vorsichtig sein Gesicht zu, so weit dies bei einer eisernen Halskrause möglich war. Lips fuhr bei dem Anblick zusammen. Der Vater blinzelte vom Licht geblendet und röchelte etwas Unverständliches. Er schluckte und räusperte sich, dann hellte sich einen Augenblick sein verpusteltes, schmerzverzerrtes Gesicht auf.
    »Na endlich!«
    Der Vater konnte sich in den Banden kaum bewegen und war zum Sitzen gezwungen. Das Halseisen hatte nach hinten einen weit ausladenden, geschwungenen Ziergriff, der ein Zurücklegen unmöglich machte. Die Arme waren mit einem Handeisen auf den Rücken verschränkt und zusätzlich mit einer dicken Kette ans Mauerwerk geschlossen. Die Füße waren in ein Eisen gezwängt, das im Boden eingemauert war und etwas hochstand, sodass die Beine immer in der Schwebe waren. Der Vater saß in einer Urinlache.
    »Komm näher«, flüsterte der Vater. »Der Scheißkerl braucht nicht alles mitbekommen.«
    Lips musste flach atmen, als er näher kam.
    »Hast du das Geld?«
    »Morgen.«
    »Warum erst morgen? Scheißkerl!«, zischte er unwillig und knispelte mit den Augen. »Du solltest dich doch beeilen! Guck dir das hier an! Lässt mich hier krepieren!«
    Lips sah im Dämmerlicht, dass der Vater mit Ungeziefer übersät war.
    »Macht mich verrückt, das Gekrabbel!« Der Vater verzog den Mund und versuchte den Atem ins Gesicht zu stoßen. »Mach's schon weg aus 'm Gesicht!«
    Lips stockte. Er konnte sich nicht erinnern, den Vater jemals angefasst zu haben. Er hielt den Atem an und stippte mit der Fingerspitze das Ungeziefer aus dem Gesicht.
    »Pass auf bei der Übergabe«, flüsterte der Vater dabei. »Gib nur die Hälfte. Sag ihm, dass er den Rest danach bekommt. Dann gibst du dem Scheißkerl eins auf den Schädel. Diese Ratte ist als Erster dran! Hast du vom Opium?«
    Lips nickte widerwillig.
    »Jetzt gib mir schon was!«, herrschte ihn der Vater an. »Muss man dir denn alles sagen! Da hinten ist ein Krug mit Wasser.«
    Lips sah zum Kerkermeister, der unruhig in den Gang spähte. Erschlagen sollte ihn Lips!
    »Jetzt machen wir gemeinsame Sache! Einen richtigen Kochemer mach ich jetzt aus dir!«, zischte der Vater, nachdem er eine Pille geschluckt hatte. »Dann ist Frieder dran. Den nehmen wir uns als Nächsten vor. Dem ziehen wir das Fell bei lebendigem Leib ab! Für den lassen wir uns viel Zeit. Seinen eigenen Schwanz lass ich die Ratte fressen! Ich schneid dem alles ab, ich schwör's dir! Den will ich vor mir kriechen sehen. Und danach nehmen wir deinen Apotheker aus. Und den Porstmann! Der Scheißkerl hat mich reingelegt! Dem schlag ich mit dem Brecheisen die Knochen kaputt! Um Gnade soll der betteln, wenn ich ihm…«
    Lips war wie betäubt. Der Vater war vom Rachegedanken zerfressen und verlangte von ihm, dass er ihm bei seinen Mordtaten half! Nicht das geringste Zeichen von Reue war zu erkennen, im Gegenteil. Alles würde nur noch schlimmer werden. Der Vater war blind vor Rachegelüsten! Ja, Gelüsten. Lips erkannte in diesem Augenblick, dass es dem Vater eine Lust war zu morden und zu quälen. Die Mutter hatte immer gesagt, der Vater müsse auf eine Ordnung Acht geben. Da dürfe der Vater nicht zimperlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher