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Der goldene Thron

Titel: Der goldene Thron
Autoren: Katia Fox
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geringste Bewegung, ohne Gefahr zu laufen, das Gleichgewicht zu verlieren. Nicht, dass er gefürchtet hätte, sich bei einem Sturz zu verletzen. Dazu war der Stumpf nicht hoch genug. Vor dem Spott seiner Kameraden graute ihm. Noch wichtiger aber war, Lord Tancarville nicht zu enttäuschen. Sein Herr sollte stolz auf ihn sein. Auf seine Stärke und sein Durchhaltevermögen.
    Guillaume sog die kühle Morgenluft bis tief in seine Brust und ließ sie durch den halb geöffneten Mund wie eine kleine Rauchsäule entweichen. Dann heftete er den Blick auf eine ganz bestimmte Stelle der Burgmauer. Als Page hatte er oft lange reglos hinter seinem Herrn stehen müssen und den Gesprächen der Ritter lauschen können. Niemals jedoch hatte er sich anmerkenlassen, dass er zuhörte. Einem Pagen stand eine eigene Meinung nicht zu, und jeglicher Kommentar hätte ihm nur Prügel und Schande eingebracht. Dass sein Vater ein Lord war, tat dabei nichts zur Sache. Alle Jungen in Tancarville waren aus großen Familien, viele gar aus weit bedeutenderen als er.
    Vor dem Kammerherrn und seinen Männern aber waren alle gleich. Nicht einmal die Jungen, die wie Guillaume mit dem Herrn von Tancarville verwandt waren, hatten einen Vorteil davon. Alle schliefen des Nachts auf dem nackten Boden vor der Bettstatt ihres Herrn, und wenn sie nicht gehorchten, bekamen sie Schläge und Tritte. Widerspruch war undenkbar. Jeder Ritter hatte so begonnen, auch der Kammerherr.
    »Guillaume ist ein verdammter Dickschädel. Er hat sich in den Kopf gesetzt, bis Sonnenuntergang durchzuhalten«, war eine Stimme aus der Menge zu hören, die sich um ihn herum gebildet hatte.
    Guillaume kniff die Augen zusammen und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als er sah, dass es ausgerechnet Adam d’Yquebœuf gewesen war, der ihn als Dickschädel bezeichnet hatte. Auch Alan, der rothaarige Schmiedejunge, dessen Herr die Schwerter der Ritter fertigte, war kopfschüttelnd stehen geblieben und sah ihn mit großen Augen an.
    »Trotzdem habe ich drauf gewettet, dass er es nicht schafft«, fügte Adam nun seufzend hinzu.
    Guillaumes Vorhaben, länger als alle anderen auf dem Baumstumpf auszuharren, hatte sich in Windeseile herumgesprochen. Einige Pagen und Knappen hatten sogleich Wetten darauf abgeschlossen, ob er es schaffen würde, bis Sonnenuntergang auf dem Stumpf zu bleiben.
    »Schließlich haben wir schon November, und die Nacht war kalt«, fuhr Adam fort. Er hob die Hand und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. »Aber wenn ich ihn so dastehen sehe, dann war’s wohl nichts mit dem schnellen Reichtum«, hörte Guillaume ihn sagen und schöpfte Kraft aus Adams Zuversicht.
    Kaum ein Page hatte begriffen, wofür diese Aufgabe überhauptgut war, und auch der Schmiedejunge schien keinen Sinn darin zu sehen, denn er schüttelte verständnislos den Kopf und trollte sich. Die meisten Pagen hielten die Prüfungen für nicht mehr als boshafte Quälereien, die sie über sich ergehen lassen mussten, um Knappen zu werden.
    »Eine volle Blase darf weder einen Schildknappen noch einen Ritter von seinen Aufgaben ablenken, auch wenn es schwerfällt«, hatte Lord Tancarville Guillaume jedoch erklärt. »Im Kampf kann ein einziger Moment der Unachtsamkeit tödlich sein. Ein Ritter muss sich auf seinen Knappen bedingungslos verlassen können, mehr als einmal wird sein Leben davon abhängen. Erschöpfung, Kälte und Schmerz muss ein künftiger Ritter geduldig ertragen können, um sich und seinen Herrn nicht zu gefährden«, glaubte Guillaume ihn sagen zu hören. Genau darum hatte er sich vorgenommen, viel länger auf dem Baumstumpf zu bleiben, als von ihm erwartet wurde. Länger sogar, als der Kammerherr selbst es seinerzeit geschafft hatte.
    So stand er nun reglos da, starrte auf die Mauer und durch sie hindurch in die Ferne. Er musste all seine guten Gedanken bündeln, um so den Druck zu verdrängen, den er auf der Blase zu spüren begann. »Wer in Tancarville ausgebildet wird, hat sein Bestes zu geben«, hatte sein Vater ihm eingeschärft, und das hatte er vor zu tun.
    Die Pagen bedienten ihren Herrn, übten sich in höfischem Verhalten, lernten Reiten, Laufen, Ringen und den Kampf mit allen nur erdenklichen Waffen. Der Kampf mit dem Schwert galt dabei als der edelste, und Guillaume konnte es kaum erwarten, endlich selbst eines in die Hände zu bekommen, auch wenn es zunächst nur aus hartem, glattem Holz sein würde, kaum anders als jenes, mit dem er als Kind gespielt hatte.
    »Was
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