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Der globale Eingriff

Der globale Eingriff

Titel: Der globale Eingriff
Autoren: James White
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zu weinen.

 
18 Intensive Pflege
     
     
     
    Auch Ann weinte, als der Aussichtspunkt wieder wechselte – dieses Mal zum Monitorraum in ihrer eigenen Station. Ohne Zweifel hatte ein trenkoranischer Psychologe beschlossen, die Wirkung der Bilder, die gerade eben nur Tod und Zerstörung gezeigt hatten, durch einen raschen Wechsel auf etwas Beruhigendes aufzufangen. Aber Ann hielt ihre Augen zu, so daß die Behandlung nicht anschlagen konnte – nicht, daß sie ansonsten viel Wirkung gezeigt hätte, dachte Malcolm. Auf ihn zumindest wirkte sie nicht besonders beruhigend.
    Instinktiv legte er seinen Arm um Ann und versuchte, durch körperliche Kraft das schreckliche stille Schluchzen, das ihren Körper schüttelte, zu beruhigen. Noch nie zuvor hatte er sie derart die Selbstbeherrschung verlieren sehen, und das machte ihm Angst. Es war die Art von Angst, die ein Seemann verspürt, wenn der Anker das Schiff in einem Sturm nicht mehr halten kann und dieses unweigerlich auf die Felsen zutreibt. Malcolm konnte und wollte nicht das sagen, was er in der gleichen Situation zu einem Patienten gesagt hätte, da er von Ann nicht denken wollte, sie sei ein Patient, der Behandlung nötig hätte. Alles, was er tun konnte, war, sie noch ein wenig fester zu halten und zu wünschen, daß sie aufhörte.
    „Geh weg“, sagte sie.
    Malcolm ließ sie los. Er machte ein Geräusch, das ursprünglich ein Lachen sein sollte, und sagte: „Ich hätte schon nichts getan, worüber sich die Wächter entrüstet hätten.“
    „Mach jetzt bitte keine dummen Scherze“, schluchzte sie. „Der Mann hatte recht. An die Menschen, die außerhalb unserer kleinen weißen Welt stehen, denken wir überhaupt nicht. Wir sind selbstsüchtig und rücksichtslos und …“
    „Er hatte nicht recht“, sagte Malcolm scharf. Er tat sein Bestes, um überzeugend zu wirken, da er sowohl Ann als auch sich selbst zu überzeugen hatte. Er fuhr fort: „Er hatte vielleicht nicht ganz unrecht, wie auch das Mädchen nicht ganz recht hatte. Ich frage mich allerdings, ob du, wenn mich jemand erschießen würde, meine Mörder mit dem angemessenen ärztlichen Abstand beurteilen könntest. Wenn du auf diese Art umgebracht worden wärest, dann hätte ich …“
    „Wir sind vielleicht ganz genauso schlecht wie das Mädchen“, unterbrach sie ihn. „Wir machen uns nicht wirklich Sorgen um die Leute. Sei doch mal ehrlich – tun wir’s? Ich weiß, daß wir uns nicht um jeden einzelnen Menschen Gedanken machen können. Aber wie ist es mit den Patienten im Krankenhaus? Oder zumindest in unserer Station? Ganz ehrlich, betrachten wir die nicht eigentlich wie eine Masse defekter organischer Materie, die repariert werden muß oder der der Abschied aus dieser Welt so leicht wie möglich gemacht werden sollte? Aber machen wir uns wirklich Gedanken um die Leute?“
    „Aus deinem Mund“, sagte Malcolm, „ist das eine dumme Frage. Du reagierst zu heftig. Du bist von dem Keim des Zweifels, den der Mann in dir gesät hat, aus dem Gleichgewicht gebracht worden. Darum meinst du, diese Frau habe die Terroristen nicht umgebracht, weil sie kurzfristig die Selbstbeherrschung verloren hat, sondern weil sie sich genau überlegt hat, was zu tun ist, und zu dem Schluß gekommen ist, daß sie ausgelöscht werden müssen. Du, wir beide, haben dieselbe hilflose Wut verspürt, wenn wir an die Leute gedacht haben, die für die Mehrzahl der Verletzungen, die wir behandeln, verantwortlich sind. Du hast einfach Angst, daß du eines Tages dasselbe tun wirst, was sie gerade getan hat. Aber diese Haltung kannst du doch nur einnehmen, weil du zuallererst an die Kranken denkst. Du würdest dir nie so viele Gedanken machen, ob du falsch liegst, wenn du nicht in Wirklichkeit mehr als nur ein wenig recht hättest. Stimmt’s?“
    „Das ist vielleicht eine Logik! Die ist … die ist …“ hob sie an, dann fing sie auf einmal an zu lachen.
    Es war das schrille Lachen, das man in der Station in den frühen Morgenstunden hören konnte, nach einer besonders geschäftigen, blutigen und ganz und gar unangenehmen Nacht. Es wurde durch eine Verbindung von körperlicher Müdigkeit und ständigem geistigem Streß verursacht. Es löste die Verspanntheit, und in diesem Moment hätte Malcolm sich nichts Besseres wünschen können.
    „Außerdem“, sagte er und machte eine Kopfbewegung zu dem Bild des undenkbar weit entfernten Monitorraums, das sie umgab, „machen wir uns Gedanken um die Patienten, wenn wir Zeit dazu
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