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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure
Autoren: Michael Wilcke
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kostspieligen und allzu zerbrechlichen Kunstwerken zu schmücken, wenn erweitaus billigeres Butzenglas oder Blankscheiben erwerben kann. Vielleicht wäre es von Vorteil, wenn du ausschließlich mit Weißglas arbeiten würdest.«
    Martin reagierte auf diesen Vorschlag mit einem abfälligen Brummen. Sein Bruder hatte nie begriffen, welche Befriedigung es einem Glasmaler verschaffte, den Reiz der leuchtenden Farben in die richtigen Kontraste zu setzen und den Glanz des lichtdurchstrahlten Glases zu fesseln, ja ihn zur vollen Wirkung zu zwingen. Das Zuschneiden und Einsetzen von Blankglas hingegen setzte keine dieser Fertigkeiten voraus, und Martin hatte sich darum niemals sonderlich dafür interessiert.
    »Ich werde also schweren Herzens von der Kunst Abschied nehmen müssen, das willst du mir doch sagen«, meinte Martin.
    »Du mußt vor allem an Sophia denken.«
    Martin zögerte kurz, dann lächelte er. »Sie erwartet ein Kind, Sebastian.«
    Die betrübte Miene seines Bruders hellte sich auf. »End lich einmal eine gute Nachricht. Wann hast du davon erfahren?«
    »Vor zwei Tagen erst.«
    »Und Sophia ist sich gewiß?«
    »So gewiß, wie eine Frau sich sein kann. Sie meint, das Kind wird zum Christfest geboren werden.« Martin zog unter seinem Wams ein ovales Medaillon hervor, das er an einer silbernen Kette um den Hals trug. Er klappte es auf und betrachtete Sophias Porträt, das sich darin befand. Der Vater seiner Frau galt in Magdeburg als überaus begabter Maler und Kupferstecher. Er war in seiner Jugend bis nach Nordtitalien gereist, um sich von den dort ansässigen Meistern in der Kunst der Altar- und Tafelmalerei ausbilden zu lassen. Man hatte ihn zudem gelehrt, Miniaturporträts anzufertigen, und so hatte er es sich nicht nehmen lassen, seine Tochter zu ihrer Hochzeit in diesem Medaillon zuverewigen, um das Wertvollste in seinem Leben sinnbildlich seinem Schwiegersohn zum Geschenk zu machen.
    Sophia sah auf dem kleinen Bild sehr hübsch aus, aber in Fleisch und Blut erschien sie ihm um einiges attraktiver. Martins Gedanken kehrten zu der tödlichen Bedrohung Magdeburgs zurück. »Vielleicht hätte es nicht passieren dürfen. Nicht zu dieser Zeit.«
    »Unsinn«, widersprach sein Bruder.
    »Aber ich sorge mich so sehr um sie. Unsere Vorräte gehen zur Neige, und wenn wir hungern, könnte Sophia das Kind verlieren.«
    »Auch hier im Dom werden die Mittel knapp, aber ich glaube, du hast recht. Eine schwangere Frau sollte man nicht dem Hunger aussetzen. Ich werde euch mit dem Nötigsten versorgen.«
    »Das ist sehr großzügig von dir.«
    Sebastian rieb nachdenklich sein Kinn. »Oh, ich bin nicht immer so milde gestimmt. Vor zwei Tagen erst habe ich einen Verwandten von uns mit leeren Händen fortgeschickt.«
    Martin stutzte. »Wen denn?«
    »Ist dir bekannt, daß sich unsere Vettern Rupert und Berthold in der Stadt aufhalten?«
    »Rupert und Berthold? Ich hatte angenommen, die wären bereits seit Jahren tot.«
    Sebastian schüttelte den Kopf. »Die beiden müssen vor etwa zwei Monaten in Magdeburg eingetroffen sein. Als Söldner stehen sie in den Diensten des Administrators Christian Wilhelm.«
    »Söldner?« fragte Martin ungläubig. Er hatte vor mehr als sieben Jahren zum letzten Mal von den Söhnen seines Onkels gehört. Dunkel erinnerte er sich daran, daß man ihm einst berichtet hatte, Rupert und sein jüngerer Bruder Berthold wären mit dem Vater in Streit geraten und davongelaufen. Niemand hatte seitdem von ihnen gehört.Seinem Onkel und der Tante war nicht viel Zeit verblieben, sich über das Verschwinden ihrer Söhne zu grämen, denn sie starben schon im Jahr darauf am Typhus.
    »Rupert hat ein Auge verloren«, meinte Sebastian. »An sonsten ist er derselbe Rüpel geblieben, der uns schon als Kind getriezt hat. Er suchte mich im Dom auf und verlangte frech die Herausgabe von Proviant. Als ich mich weigerte, seiner Forderung nachzukommen, beschimpfte er mich und zog davon. Ich befürchte, die vielen unzufriedenen Landsknechte könnten zu einer Gefahr für diese Stadt werden. Es ist schlimm genug, daß der Administrator den Domschatz hat heben lassen, um ihn an die Truppen zu verteilen, doch die Gier der Soldaten scheint unermeßlich zu sein. Und Rupert ist da keine Ausnahme.«
    »Unsere Familien haben sich nie sehr nahegestanden«, entgegnete Martin.
    »Nimm dich vor ihm in acht, Martin! Rupert macht mir Angst. Er war schon als Kind recht sonderbar, doch der Krieg scheint etwas Böses in ihm entfesselt zu
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