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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure
Autoren: Michael Wilcke
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Porträt der Frau mit dem schwarzen Haar und den dunklen Augen.
    Sie sieht mir sogar ähnlich,
überlegte Thea. Eine Spur von Wehmut überfiel sie, wenn sie an die Zeit dachte, die sie mit Martin Fellinger verbracht hatte.
    Seufzend ließ sich Thea nach hinten fallen und hielt das Medaillon über ihr Gesicht.
    »Ich sollte dir einen Besuch abstatten, Martin Fellinger«, sagte sie leise. »Nun habe ich ja einen Grund dafür.«

Kapitel 2
    Im Grunde war Martin ein ausgeglichenes Wesen zu eigen, doch wenn ihn etwas in Wut versetzte, ließ er sich durchaus dazu hinreißen, seinem Ärger Luft zu machen, indem er ihn an einer völlig unbeteiligten Person ausließ.
    Nun bekam seinen Ärger die Magd Fredeke zu spüren, die ihr Waschbrett und den Zuber mit der Seifenlauge im Stich gelassen hatte und statt dessen auf einer Bank hockte, wo sie einer Katze das Fell kraulte und die milde Frühlingssonne genoß. Als Martin mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch den Hinterhof seines Hauses betrat, wurde sie zum Opfer seiner Verstimmung.
    »Was lungerst du dort herum?« schimpfte er mit der Magd. »Deine Arbeit wird sich kaum von selbst erledigen.«
    Fredeke, ein scheues Mädchen von noch nicht einmal fünfzehn Jahren, sprang augenblicklich auf und eilte verlegen zu ihrer unerledigten Wäsche. Die Katze blieb auf der Bank sitzen und verfolgte gelassen Fredekes hektisches Gebaren.
    »Verzeiht, Herr«, bat Fredeke kleinlaut und machte sich an die Arbeit.
    Martin schnaufte mißmutig und schöpfte Wasser aus dem Hofbrunnen, um seine Hände von dem klebrigen Eiweiß zu säubern. Wenig später tat ihm Fredeke, die mit gesenktem Kopf die Wäsche übereifrig auf dem Brett rieb, bereits leid. Sie trug ja keine Schuld daran, daß der dreiste Dieb ihn zu Boden gestoßen und das Medaillon entwendet hatte.
    Er öffnete den Beutel und zeigte der Magd, was sich darin befand. »Schau. Heute abend werden wir endlich einmal nicht hungrig zu Bett gehen müssen.«
    Fredekes Augen leuchteten. »Das ist wunderbar. Ich könnte aus den Eiern Pfannkuchen backen. Natürlich nur, wenn die Ziege sich erbarmt, uns ihre Milch zu geben.«
    »Wirst ihr gut zureden müssen. Wenn sie sich weiterhin so störrisch verhält, dann drohe ihr damit, daß das Schlachtermesser schon auf sie wartet.« Er zwinkerte und schmunzelte, um Fredeke klarzumachen, daß er ihr nicht mehr grollte.
    »Ist meine Frau schon zurück?« fragte Martin.
    Fredeke schüttelte den Kopf. »Nein, aber sie sagte mir, sie wolle noch den Buchhändler in der Finkengasse aufsuchen.«
    Martin verdrehte die Augen. Wenn es ein Laster gab, das seiner Frau innewohnte, dann war es die Angewohnheit, ihre ohnehin knappen Geldmittel für sinnleere Schwankgeschichten zu verschwenden.
    Er hob seufzend die Schultern. Bevor er sich in seine Werkstatt zurückzog, sagte er zu Fredeke: »Und wenn du die Wäsche erledigt und die Ziege gemolken hast, darfst du gerne weiter die Katze verwöhnen.«
    »Danke, mein Herr.« Sie vergalt ihm seine Freundlichkeit mit einem breiten Lächeln.
    Früher oder später wird das Tier ohnehin in einem Kochtopf landen,
dachte Martin. Auch wenn er mit Fredeke wieder im reinen war – seine Wut auf den Dieb war noch lange nicht verflogen. Leise fluchend wünschte er dem Kerl, der ihn so hinterlistig bestohlen hatte, die Pest an den Hals. Er trat in die Werkstatt, wo alles nur darauf zu warten schien, daß tatkräftige Hände die Arbeit aufnahmen, um prächtige Darstellungen in die Fenster zu bannen, die den Betrachter mit ihrem leuchtenden Glanz zu fesseln vermochten.
    Ernüchtert blickte Martin auf das Material, das seit Wochen unangetastet zur Weiterverarbeitung bereitstand und auf dem sich bereits eine Staubschicht ausgebreitet hatte. Tonglas in den verschiedensten Farben, dazu dasvon Bläschen, Streifen und Linien durchsetzte Antikglas, Opalglas, Ornamentglas, Alabasterglas und natürlich Butzenglas – die Ahnfrau der Fensterverglasung.
    Auf dem Nebentisch befanden sich die Bleiruten, mit denen er die einzelnen Glasstücke zusammenfügte. Das Blei gab den einzelnen Fragmenten nicht nur Halt und Festigkeit, sondern diente auch dazu, Konturen hervorzuheben.
    Er bückte sich, hob ein zu Boden gefallenes Kröseleisen auf, das zur Nachbearbeitung des Glases verwendet wurde, und legte es zu dem Schneidediamanten und den Bleiruten.
    Martin berührte den kalten Muffelofen und fragte sich, wann in ihm endlich wieder ein Feuer glühen würde, das die Schmelzfarben in das Fensterglas
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