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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure
Autoren: Michael Wilcke
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er ihr noch geben konnte.
    Thea schmiegte ihren Kopf in seine Halsbeuge. Nach einer Weile spürte er, daß ihre Tränen über seine Brust rannen.
     
    Ein kurzer, spitzer Aufschrei riß Martin aus dem Schlaf. Er hatte von Thea geträumt, und im Moment des Erwachenswar ihm, als hätte sie diesen Laut von sich gegeben. Doch Thea schlief noch immer neben ihm und wimmerte leise.
    Nun erklang ein Lachen vor dem Zelt, und es folgte ein hastig hervorgestoßener Wortschwall in einer fremden Sprache.
    Martin erhob sich und trat nach draußen. Der Platz vor dem Quartier wurde von zahlreichen Fackeln beleuchtet, und so fiel es ihm nicht schwer, den Grund für die Aufregung auszumachen.
    Jöran Poutiainen war aus der Schlacht zurückgekehrt.
    Zwei Pferdeknechte eilten herbei und halfen dem Rittmeister, von seinem Falben herabzusteigen. Im Gesicht des Finnen und an seinem Harnisch klebten Blut und Dreck, doch er schien unverletzt zu sein.
    Maija Poutiainen war ihrem Mann um den Hals gefallen und redete noch immer auf ihn ein. Martin wartete ab, bis die beiden sich voneinander lösten, dann ging er auf den Rittmeister zu und deutete eine Verbeugung an.
    »Ich freue mich, Euch wohlbehalten gegenüberzustehen«, meinte Poutiainen. »Aber wo ist Thea?«
    Martin schwieg einen Moment. »Sie befindet sich dort im Zelt. Ein Geschoß hat ihren Leib durchschlagen. Ich bange um ihr Leben.«
    Poutiainens Blick richtete sich auf das Zelt, in dem Thea schlief. »Grundgütiger! Welche Opfer wird uns dieser Tag noch abverlangen?«
    Nun erst fiel Martin auf, welch niedergeschlagenen Eindruck der Rittmeister auf ihn machte. Ihn schienen Sorgen zu plagen, die Theas betrübliches Schicksal bei weitem überstiegen.
    Martin deutete auf das Blut an Poutiainens Harnisch. »Ich hoffe, Ihr seid unverletzt.«
    Der Finne wischte halbherzig mit dem Handschuh über den Brustpanzer. »Mir geht es gut, aber viele Männerunserer katholischen Gegner ließen heute unter meinem Degen das Leben.«
    »Und die Schlacht? Welche Entscheidung brachte die Bataille?«
    »Wir haben das Feld behauptet«, sagte Poutiainen, ohne Stolz oder Freude erkennen zu lassen. »Beide Seiten erlitten hohe Verluste, aber unsere Armee hat die Hügel der Kaiserlichen eingenommen und die Kanonen des Gegners erbeutet. Kein so glanzvoller Sieg wie einst bei Breitenfeld – gleichwohl ein Erfolg.«
    »Doch Ihr wirkt nicht glücklich darüber.«
    Poutiainen schüttelte den Kopf. Er verzog das Gesicht, und Martin kam es vor, als wolle der Rittmeister im nächsten Moment in Tränen ausbrechen.
    »Er ist tot«, brachte Poutiainen mit brüchiger Stimme hervor.
    »Wer?« fragte Martin.
    »Der König.«
    »Gustav Adolf ist tot?«
    Der Finne warf die Handschuhe auf den Boden. »Am frühen Abend erreichte uns die Nachricht, der König sei im Nebel hinter die feindlichen Linien geraten. Dann hieß es, man habe seine Leiche vom Schlachtfeld geborgen. Er ist in den Rücken geschossen worden. Die katholischen Hunde haben ihn ausgeraubt, bevor sie seinem Leben mit Speerstichen und einem Schuß in den Kopf ein Ende machten.« Poutiainen setzte sich auf einen Schemel und ließ den Kopf hängen. »Der Heilsbringer hat diese Welt verlassen. Was soll nun aus uns werden?«
    »Und wenn es sich nur um ein Gerücht handelt, das vom Feind verbreitet wurde?«
    Poutiainen schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn gesehen. Seine Garde trug ihn auf einer Bahre in das Dorf Meuchen. Es gelang mir, einen Blick auf den König zu werfen, als die Paladine meine Einheit passierten. Sein Körper warschrecklich zugerichtet und von zahlreichen Wunden entstellt.«
    Martin konnte verstehen, daß es dem Rittmeister schwerfiel, Freude über den Sieg der Schweden zu empfinden. Mit dem König hatte die schwedische Armee einen genialen Strategen verloren, der wie ein Eroberer gelebt und auch wie ein Eroberer gestorben war. Mit seinem Tod waren ein Triumph der protestantischen Sache und der Sturz des deutschen Kaisers in weite Ferne gerückt.
    »Ich bin müde«, sagte Jöran Poutiainen. »Und ich möchte allein sein.«
    Martin verabschiedete sich mit einem Nicken und wartete ab, bis Poutiainen, gestützt von Maija und einem Pagen, in seinem Quartier verschwunden war, bevor auch er sich zurückzog.
     
    Am dritten Morgen nach der Schlacht kam Jöran Poutiainen zu Martin und betrat das Zelt mit einem Krug Bier und einem Teller dampfendem Rübeneintopf. Der verlockende Geruch machte Martin bewußt, daß er seit seiner Rückkehr in das Lager nicht
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