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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure
Autoren: Michael Wilcke
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nachdem sie den Wald erreicht hatten, zügelte er Eris, stieg vom Rücken der Stute und hob Thea hinunter. Die Nebelwand war noch immer so dicht, daß sie die Bäume kaum auf eine Armlänge hin erkennen konnten.
    »Wir haben den Weg verloren«, meinte Martin und starrte aus schmalen Augen in den undurchdringlichen Schleier. »Es hat keinen Sinn. Wir müssen warten, bis der Nebel sich auflöst.«
    Thea widersprach ihm nicht, und so hockten sie sich auf einen Baumstumpf und ließen die trägen Schwaden an sich vorbeiziehen.
    Martin legte eine Hand an ihre Wange. »Versuch zu schlafen«, meinte er. Thea war erschöpft, aber die Furcht vor dem, was sie in der Mühle erwartete, hielt sie wach.
    Martins Finger fuhren an ihrer aufgeplatzten und verschorften Schläfe entlang, und sie strichen über die Schwellung unter ihrem Auge. Thea betastete mit ihrer Zungenspitze vorsichtig die Zahnlücke, die Ruperts Schlag hinterlassen hatte, doch sie zog sie rasch zurück, als sie damit einen stechenden Schmerz auslöste.
    »Ich sehe schrecklich aus«, sagte sie leise.
    Martin schmunzelte. »Das wird schon wieder. Bis auf den Zahn natürlich. Aber du wirst nicht die erste und nicht die letzte Braut mit einer Zahnlücke sein.«
    Thea bedeutete ihm zu schweigen. Es war nicht gut, das Glück mit diesen Worten herauszufordern.
    Sie schmiegte sich an Martin und döste nun doch ein. Bald darauf träumte sie von einem Nebel, der sie nicht weiß, sondern schwarz wie die Nacht umhüllte und in dem sich Dutzende gräßlicher Kreaturen verbargen, die knurrend und geifernd auf sie zukamen, ohne daß es für sie eine Möglichkeit gab, ihnen zu entfliehen.
    Ein lautes Donnern riß Thea aus dem Schlaf. Sie wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, aber ihr fiel sofort auf, daß sich der Nebel deutlich gelichtet hatte.
    Martin streichelte über ihr Haar. »Der Wind ist aufgefrischt.« Ein neuerliches Getöse ließ Thea zusammenzucken, und er sagte: »Das ist Geschützfeuer. Die Schlacht hat begonnen.«
    »Wie spät ist es?«
    Er hob die Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Es mögen zwei Stunden vergangen sein, seit du eingeschlafen bist.« Martin stand auf und schaute sich um. »Ich kann mich wieder orientieren. Wir sind gestern schon einmal hier entlanggekommen. Es ist nicht mehr weit bis zur Mühle.«
    Sie führten Eris am Zügel durch den Wald. Wie Martin richtig vermutet hatte, erreichten sie nach kurzer Zeit eine Anhöhe, von der aus sie die Lichtung überblicken konnten, auf der sich die Mühle befand.
    Weiter ostwärts, kaum eine Meile von der Mühle entfernt, bewegte sich eine Kompanie Fußsoldaten unter Trommelschlägen und mit wehenden Bannern auf eine Straße zu und wurde von feindlichem Geschützfeuer unter Beschuß genommen. Kugel um Kugel schlug donnernd in die Reihen ein, ließ Erdfontänen hervorspritzen und forderte einen blutigen Tribut unter den Männern, die aber unerschrocken voranmarschierten.
    Martin und Thea verbargen sich hinter einem Gebüsch und nahmen die Mühle in Augenschein.
    »Die Tür steht offen«, sagte Martin.
    Thea beschlich ein ungutes Gefühl. »Als wollte er uns hereinbitten.«
    Eine Weile hockten sie schweigend nebeneinander und hofften, eine verräterische Bewegung zu entdecken. Doch alles blieb ruhig.
    »Er wartet dort.« Martin zog seine Pistole hervor undspannte den Hahn. »Ich werde mich der Mühle wieder von der Rückseite nähern.«
    »Ich komme mit dir.«
    Martin schüttelte den Kopf. »Du bleibst hier. Sollte ich Rupert nicht sehen können, müssen wir ihn aus seinem Versteck hervorlocken.«
    »Und wie?«
    »Du mußt ihn auf dich aufmerksam machen. Kneif Eris in die Flanken, damit sie scheut und wiehert. Dann wird er wissen, daß wir uns in der Nähe befinden, und vielleicht läßt ihn das leichtsinnig werden.«
    »Wie lang soll ich damit warten?«
    »Sobald ich hinter der Mühle verschwunden bin, zählst du langsam bis hundert.«
    »Ich tue mich ein wenig schwer mit den Zahlen.«
    »Aber du hast doch wohl gelernt, bis zehn zu zählen.«
    Sie nickte.
    »Gut, dann zählst du an jedem deiner Finger bis zehn, und solltest du bis dahin noch keinen Schuß gehört haben, mußt du das tun, was ich dir gesagt habe.«
    »Sei vorsichtig, Martin. Ich will dich heiraten, nicht beerdigen.«
    Thea spürte seine Anspannung. Er atmete gedehnt aus, dann küßte er sie und lief geduckt davon.
     
    Rupert spannte sich, als Martin nur wenige Schritte von ihm entfernt durch den Wald schlich und sich in großem Bogen der
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