Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure
Autoren: Michael Wilcke
Vom Netzwerk:
Stelle durchschlagen hatte, an der auch er seine Narbe trug. Er legte seinen Mantel ab und bettete ihren Kopf darauf. Rasch zog er sein Hemd aus und zerriß es, um Thea damit einen provisorischen Verband anzulegen.
    »Martin!« entfuhr es Thea mit dünner Stimme. Er drehtesich zu ihr und wollte ihre Stirn küssen, doch sie verzog das Gesicht und deutete auf das Mauerwerk.
    Rupert war fort.
    Martin richtete sich auf und blickte fieberhaft um sich, doch erst als er durch die Öffnung spähte, entdeckte er ihn.
    Rupert stolperte über das Feld. Taumelnd hatte er sich an die zwanzig Schritte von der Mühle entfernt, als der Lärm donnernder Hufe heraufzog. Aus dem Nebel stürmte eine fliehende Reiterschar auf ihn zu. Schon das Pferd des vordersten Reiters streifte den blinden Mann, der in den Weg des Kavallerieverbandes geriet.
    Rupert wurde zu Boden gestoßen. Dutzende Pferde trampelten über ihn hinweg und ließen einen zerfetzten Leib zurück, als sie hastig davonstoben.
    Während die Hufschläge verklangen, hüllten die Schwaden des Pulverdampfes den Leichnam ein.
     
    Thea stöhnte laut auf, als Martin sie aufhob und aus der Mühle trug. Er wußte, daß jeder Schritt, jede Bewegung eine Qual für sie bedeutete, aber er mußte sie ins Lager schaffen, um ihre Wunde zu behandeln.
    Glücklicherweise befand sich Eris noch immer dort am Waldrand, wo sie das Pferd zurückgelassen hatten. Martin hob Thea auf den Rücken der Stute und schwang sich hinter sie in den Sattel. Theas Körper war so schlaff, daß er sie fest an sich drücken mußte, während er Eris durch das Unterholz lenkte.
    »Du wirst nicht sterben«, raunte er in ihr Ohr. Thea reagierte darauf nur mit einem schwachen Stöhnen. Er sprach immer wieder mit ihr, um sie bei Besinnung zu halten, während er gegen den Drang ankämpfte, Eris in rasendem Galopp ins Lager zu treiben.
    Von der Anhöhe aus konnte Martin einen Blick über das Schlachtfeld werfen. Der Pulverdampf hatte sich mit demRauch der brennenden Stadt Lützen vermischt. Inmitten dieses Nebels machte er eine langgestreckte Frontlinie aus. Er verfolgte die Schlacht vor allem mit den Ohren, denn der Rauch verschleierte das Kampfgeschehen. Er hörte die Schreie, das Klirren der Schwerter und Spieße und das knatternde Musketenfeuer.
    Nur kurz verharrte er. Auch wenn vor seinen Augen das Schicksal einer ganzen Nation entschieden wurde, galt seine einzige Sorge Thea.
    Martin küßte ihren Hinterkopf, trat Eris in die Rippen und setzte den Weg fort.

Kapitel 20
    Zurückweichende Soldaten verstopften die schmale Straße, die in das Lager führte. Auf Ochsenkarren, Handwagen oder zusammengezimmerten Tragen schleppten sie ihre verwundeten Kameraden vom Schlachtfeld. Viele Landsknechte ließen ihr Leben auf dem Weg. Die Leichen wurden an den Straßenrand geschafft, wo sie mit toten Augen dem traurigen Zug der Heimkehrer entgegenstarrten.
    Martin schaute nur selten zur Seite. Er wollte die Toten nicht sehen. Es fiel ihm bereits schwer, in die gequälten Mienen der Leidenden vor sich zu blicken. Die Landsknechte harrten apathisch auf den Karren aus oder reckten hilfesuchend die Hände in den Himmel. Die meisten von ihnen würden das Lager nicht lebend erreichen. Ihr Schicksal rührte ihn, und doch wünschte Martin sie alle zum Teufel, denn der dichte Menschenstrom hielt ihn auf, und er bangte um Theas Leben.
    Martin lenkte Eris an den Rand der Straße und nutzte jede Lücke, die sich zwischen den Fuhrwerken auftat. Dennoch verging viel Zeit, bevor er den Weg zum Lager zurückgelegt hatte und endlich die Palisaden und die ersten Zeltreihen erreichte. Hinter ihm war in der Ferne noch immer das Getöse des Kanonen- und Musketenfeuers zu hören. Zeichnete sich bereits ein Sieger der Schlacht ab? Die Zahl der Verwundeten auf dieser Straße ließ nichts Gutes für die Schweden vermuten, aber wahrscheinlich beklagten die Kaiserlichen ebensoviele Opfer. Auch hinter ihren Linien würden die Lazarette mittlerweile überfüllt sein.
    Martin neigte seinen Kopf vor und flüsterte Thea zu, daßsie im Lager angekommen waren. Sie reagierte darauf nur mit einem kaum merklichen Nicken.
    Ihre Kräfte schwanden zusehends. Der Weg bis zu Poutiainens Quartier zog sich so lang und beschwerlich hin, daß er befürchtete, sie könnte jeden Augenblick in seinen Armen sterben.
    Nicht nur das Schlachtfeld wurde von dichtem Qualm eingehüllt. Auch hier im Lager dirigierte Martin sein Pferd durch graue Rauchschwaden. Der Boden war mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher