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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure
Autoren: Michael Wilcke
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Mühle näherte. Einen Moment lang war er versucht, aus seinem Versteck hervorzuspringen und ihn mit dem Degen niederzustrecken, doch da er befürchtete, daß die Hure mit dem Pferd die Flucht ergriff, wenn er Martin erschlug, hielt er sich zurück. Gewiß wollte er seinen Vetter tot sehen, doch sein Zorn galt vor allem dieser Frau.
    Er hatte gehofft, daß die beiden dumm genug sein würden, zu glauben, daß er dort in der Mühle hockte und aufihr Eintreffen wartete. Statt dessen hielt er sich schon seit geraumer Zeit hier am Waldrand in einer Mulde verborgen und hatte beobachtet, wie Martin und die Hure aus dem Unterholz hervortraten.
    Sie waren ihm so nah gewesen, daß er jedes ihrer Worte verstanden hatte. Dann lief Martin an ihm vorbei und ließ die Hure allein zurück. Rupert betrachtete die Dirne voller Abscheu. Sie hatte Berthold den Dolch in den Hals gestoßen, und dafür würde er sie mit sich in den Tod nehmen.
    Langsam richtete er sich auf und schaute sich um. Martin war inzwischen an der Mühle angelangt und schlich auf die Rückseite zu. Der Narr würde schnell erkennen, wie sinnlos sein Vorhaben war.
    Während neuerlicher Geschützdonner einsetzte, trat Rupert aus der Senke hervor und näherte sich der Hure. Sie kehrte ihm den Rücken zu und behielt starr die Mühle im Auge, wobei sie leise vor sich hin zählte.
    Rupert sprang auf die Dirne zu und schnappte nach ihr. Sie zuckte zusammen, doch da hatte er die zierliche Frau schon fest an sich gedrückt und eine Hand auf ihren Mund gepreßt. Die Hure versuchte zu schreien, doch nur ein dumpfer, erbärmlicher Laut drang unter seiner Hand hervor. Er hätte ihr mit einer einzigen Bewegung den Hals brechen können, aber er hielt der Versuchung stand.
    Sie sollte Martin im Moment ihres Todes in die Augen schauen.
     
    Der Boden erzitterte unter dem Donner der Kanonen. Martin stolperte. Geduckt kroch er weiter, bis er den Riß in der Mühlenwand erreicht hatte. Nicht weit von der Mühle entfernt preschten zwei herrenlose Pferde über die Lichtung und suchten im Unterholz das Weite.
    Er verharrte einen Augenblick und warf einen Blick über das Schlachtfeld. Viel konnte er im Pulverdampf nicht erkennen,aber er machte eine dichtgedrängte Reihe von Männern und Pferden aus, die etwa eine halbe Meile von der Mühle entfernt auf die Straße zuhielt und unter Feuer genommen wurde. Hastig hervorgestoßene Befehle erklangen, dazu gequälte Schreie und das unaufhörliche Stakkato des Musketen- und Geschützfeuers.
    Er wandte sich vom Schlachtgeschehen ab und spähte vorsichtig in die Mühle. Bertholds Leiche lag dort noch immer auf dem Boden. Rupert jedoch war nicht zu sehen. Um die Balustrade in Augenschein zu nehmen, drehte Martin sich zur Seite und achtete darauf, daß sein Kopf möglichst hinter den Bruchsteinen geschützt blieb.
    Es war unmöglich, den gesamten Oberbau einzusehen. Die morsche Balustrade bot Rupert unzählige Verstecke. Nun konnte er nur darauf hoffen, daß es Thea gelang, Rupert auf sich aufmerksam zu machen und ihn hervorzulocken.
    Die Zeit, die sie hatte abwarten sollen, war längst verstrichen. Noch immer grollte der Geschützdonner in der Ferne. Das würde es Thea nicht leichter machen, Ruperts Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Trotzdem hielt er gespannt die Balustrade im Auge, bereit, die Pistole auf Rupert abzufeuern, sobald dieser in sein Schußfeld geriet.
    Ein Ruf ließ ihn erstarren.
    »Martin.«
    Achtzehn Monate waren vergangen, seit sie sich in Magdeburg gegenübergestanden hatten, doch Martin erkannte die Stimme sofort. Noch einmal wurde sein Name gerufen. Martin richtete sich auf und erblickte Rupert und Thea in der offenen Tür.
    Sein Vetter drückte Thea an sich. Sie wand sich verzweifelt in seinem Griff, ohne daß es ihr gelang, sich ihm zu entziehen.
    Martin zwängte sich durch den Riß in die Mühle und zielte mit seiner Pistole auf Rupert. In Theas Gesichtzeichnete sich Todesangst ab. Zwischen ihnen lagen nur zwei Schritte, aber es war ihm nicht möglich, sie aus den Händen des Einäugigen zu befreien, denn Rupert richtete eine Pistole auf Theas Kopf.
    In all den Monaten seit der Katastrophe von Magdeburg hatte Martin diesen Moment herbeigesehnt. Er hätte sein Leben, ja seine Seele dafür gegeben, Rupert gegenüberzustehen und ihn für seine Sünden bezahlen zu lassen, doch nun, als er Thea zitternd und bleich in der Gewalt Ruperts vor sich sah, wünschte er sich, er hätte niemals einen solchen Gedanken in Worte
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