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Der gläserne Sarg

Der gläserne Sarg

Titel: Der gläserne Sarg
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schauer über den Körper jagen.
    Jim Dhiser steht mit Direktor Blondie an den Seiten des Schnürbodens und beobachtet die Nummer seiner Frau.
    »Sie muß sich mehr schonen«, sagt er plötzlich und wendet sich Mister Blondie zu. »Nach jeder Vorstellung ist sie matt, einfach erledigt, launisch und deprimiert. Vor einem Jahr noch machte ihr eine Vorstellung nichts aus … aber seit den letzten zwei Monaten fällt sie sichtlich zusammen. Ich glaube, Direktor, daß wir nach der einhundertsten Vorstellung eine Pause von einem Vierteljahr machen und irgendwo in Miami oder Kalifornien ausspannen. Vor allem muß Joans wunderbare Lunge geschont werden!«
    Direktor Blondie nickt zustimmend.
    »Haben Sie schon Anzeichen bemerkt, daß ihre Lunge nachläßt?« fragt er offensichtlich besorgt.
    »Nein, das nicht. Doch ich befürchte es. Der Zusammenbruch kommt plötzlich und ist eines Tages da!«
    »Das wäre furchtbar!« Blondie blickt auf die Bühne, wo Joan sich gerade unter Wasser an den Tisch setzt, eine Banane aus einem Behälter nimmt, diese schält und langsam ißt. »Eine wundervolle Frau, Dhiser … Ich beneide Sie jeden Abend. Selbstverständlich wechseln wir das Programm nach der einhundertsten Vorstellung, und Sie fahren mit Joan drei Monate nach Palm Beach. Vielleicht mache ich auch Urlaub und begleite euch zwei!«
    Hatte das ironisch geklungen? Jim beschließt, nicht darauf einzugehen. »Nicht übel … Würden uns sehr freuen …«, murmelt er und starrt weiter auf die Bühne.
    Bob Rint ist in Hochform. Schlagfertig, witzig und außerdem die Spannung von Sekunde zu Sekunde steigernd, unterhält er das Publikum und erklärt, was Joan Dhiser gerade macht.
    Immer wieder fügt er ein, wie lebensgefährlich die Darbietung für die Frau unter Wasser ist.
    »Ob ich die beiden Zahlenkombinationen noch weiß …?«
    Die Zuschauer nehmen ihm die Spannungsmache ab.
    »Ich bin so aufgeregt. Ich glaube, ich brauche jetzt einen Cognac, sonst halte ich die beiden letzten Minuten nicht mehr durch. He, Direktion, ob aus den Einnahmen heute abend für mich ein Cognac zu zahlen ist.?«
    Jeden Tag das gleiche Spiel. Das Publikum lacht – froh darüber, daß es sich etwas von der Aufregung lösen kann. Dabei steht der Cognac schon bereit. Der Inspizient greift hinter sich und händigt einem der Assistenten eine angebrochene Flasche und einen Cognacschwenker aus. In der Flasche ist echter Cognac. Bob Rint besteht darauf; er will keinen Tee – wie das auf Bühnen sonst üblich ist – trinken.
    Der Assistent tritt auf die Bühne und reicht dem Ansager das Glas. Dann gießt er ihm den Cognac ein.
    Genießerisch schwenkt Bob Rint den Cognac, betrachtet dann das Etikett der Flasche und lobt: »Na, heute muß die Kasse wohl mal stimmen. Der Direktor hat sich doch glatt von seiner besten Flasche getrennt. Wenn der nicht mindestens zwölf Jahre alt ist …«
    Bob dreht sich Joan Dhiser zu, die jetzt an die vordere Wand des Bassins geschwommen ist. Er hebt das Glas, so als wolle er einen Toast auf die Künstlerin ausbringen. Dann setzt er das Glas an den Mund und schlürft. Danach wirft er das Glas hinter sich. Es zerbricht mit leisem Klirren an der Wand des Bassins.
    »Nur noch dreißig Sekunden, meine Damen und Herren, dann hat es Joan Dhiser wieder geschafft. Dann … dann …«
    Was ist mit dem Ansager los? Die Stille im Saal wirkt beängstigend. Bob Rint wischt sich mit der linken Hand über die Stirn. Es scheint ihm übel zu sein. Er wankt ein paar Schritte vorwärts … dann bricht er zusammen. Ein kurzes Röcheln wird durch das Mikrofon in den Saal übertragen.
    Lähmendes Entsetzen.
    Als erster hat sich Direktor Blondie wieder in der Gewalt. Er stürzt auf die Bühne und greift zum Mikrofon: »Einen Arzt … wo ist der Theaterarzt?«
    Links seitwärts erhebt sich ein Mann und hetzt zur Bühne. Unter seinen Arm geklemmt trägt er ein kleines Köfferchen.
    Jim Dhiser starrt auf das Bassin. Seine Augen sind aufgerissen, leblos, geweitet in merklichem Entsetzen. Seine Finger sind zur Faust verkrampft und liegen eng am Körper an.
    Noch immer lächelt Joan Dhiser unter Wasser und blickt ins Publikum. Natürlich hat sie gesehen, wie der Ansager zusammengebrochen ist. Doch das ungeschriebene Gesetz des Varietés lautet: Lächeln … dem Publikum stets ein Lachen zeigen … egal, was passiert …
    Der Arzt hat inzwischen Bob Rint, der immer noch vor dem Bassin auf der Bühne liegt, untersucht. Mit erschütterter Miene wendet er sich dann
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