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Der gläserne Sarg

Der gläserne Sarg

Titel: Der gläserne Sarg
Autoren: Heinz G. Konsalik
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1.
    Zweitausendvierhundert Augen starrten auf einen Fleck. Durch den weiten, abgedunkelten Saal stoßen die grellen Arme der Scheinwerfer. Ihre blendenden Lichtkegel vereinigen sich in der Mitte der großen Bühne auf einem viereckigen Glasbassin. Atemlose Stille steht im Raum. Die Musik schweigt. Nur das leise Surren der in die Wände eingebauten Ventilatoren durchschneidet die bis aufs äußerste gespannte Erwartung der eintausendzweihundert Zuschauer.
    Joan Dhiser, die Starartistin des Chicagoer ›Globe-Theaters‹, wird gleich in dieses große Wasserbassin steigen und fünfzehn Minuten unter Wasser bleiben, unter Wasser essen, unter Wasser trinken, umherschwimmen und bezaubernd lächeln … fünfzehn Minuten unter Wasser, ohne Luft, ohne Trick oder Spiegelung, konzentriert auf den unheimlich starken Willen, fünfzehn Minuten zu leben, ohne atmen zu müssen. – So steht es an den Anschlagtafeln und im Programmheft. Eintausendzweihundert Menschen werden Abend für Abend von dieser einmaligen Sensation des internationalen Varietés angelockt – von Joan Dhiser, der Frau unter Wasser.
    Der Inspizient Jack Carter steht in der linken Bühnenecke neben seinen Schalttafeln und spricht durch ein Walkie-Talkie, das er um den Hals gehängt hat, leise mit der Beleuchterbrücke. Er korrigiert die Scheinwerfer und sagt noch einmal die Reihenfolge der Farbtönungen während der einzelnen Nummern an.
    Es ist dies eine alte Angewohnheit von ihm; man hört auf der Beleuchterbrücke kaum noch hin. Die 73. Vorstellung ist es heute, und man kennt die Regieanweisungen im Schlaf. Erst weiß, dann rot, übergleitend in hellviolett, dann blau, dann meergrün und am Ende alle Kegel grellweiß.
    Jack Carter blickt auf die Bühne. Der Beifall der zwölfhundert Zuschauer braust durch den riesigen Saal.
    Bob Rint, der Ansager, tritt auf die Bühne. Sein strahlendes Lächeln und seine Gewandtheit verhüllen, daß er in diesem lebensgefährlichen Spiel ebenfalls eine entscheidende Rolle übernommen hat. Denn Bob Rint ist kein gewöhnlicher Conférencier. Er ist in erster Linie Gedächtniskünstler.
    »Meine Damen und Herren«, spricht er verhalten in das Mikrofon und erreicht damit, daß der Beifall sofort abstirbt. »Sie erleben nun den Höhepunkt des heutigen Abends, eine Weltsensation. In dieses Bassin wird in wenigen Minuten Joan Dhiser steigen. Sie sehen, daß der Behälter bis zum Rande mit Wasser gefüllt ist. Insgesamt sind es 36 Kubikmeter Wasser. Stellen Sie sich vor: Das sind 36.000 Liter Wasser, und diese Masse wiegt 36 Tonnen. Um dieses Bassin hier aufzustellen, mußte der Bühnenboden extra abgestützt werden. Wenn Joan Dhiser in das Bassin gestiegen ist und der Deckel geschlossen wird, hat sie keine Möglichkeit mehr, irgendwo Luft zu holen. Sie muß die fünfzehn Minuten unter Wasser verbringen. Sie wird sich dort an diesen Tisch setzen und essen und trinken. Sie wird umherschwimmen und Ihnen zulächeln – bis sich der Deckel wieder öffnet. Nun aber das Wichtigste: Dieser Deckel – Sie werden es dann sehen – schließt absolut luftdicht. An seiner Vorderseite befinden sich zwei Ösen, und dorthin gehören …«, Bob Rint greift in seine Taschen, »diese beiden Vorhängeschlösser. Es sind Zahlenschlösser, die Kombination ändert sich von Abend zu Abend, denn nicht ich stelle die Zahlen ein, sondern zwei Damen oder Herren … oder eine Dame und ein Herr aus dem Publikum. – Darf ich nun zwei von Ihnen bitten, auf die Bühne zu kommen?«
    Zuerst verblüffte Stille im Saal. Dann erhebt sich ein Herr in der letzten Reihe. Das wirkt wie ein Signal. Gleich mehrere Damen und Herren marschieren auf die Bühne zu.
    Bob Rint nimmt die beiden ersten am Arm und wehrt die anderen ab. »Vielen Dank … Verstehen Sie bitte, daß ich wirklich nur zwei Personen brauchen kann. Jede Komplikation muß im Interesse unserer Künstlerin vermieden werden. Denn davon hängt ihr Leben ab.«
    Die beiden Zuschauer auf der Bühne – es handelt sich um eine etwas üppige Blondine und einen ausgesprochen nervös wirkenden Herrn – müssen dann unter Anleitung des Conférenciers die beiden Schlösser ausprobieren. Sie stellen wahllos Kombinationen ein, die Bob Rint sofort arretiert. Dabei prägt er sich die Zahlenkombination ein, verändert danach die Zahlenfolge, und nun dürfen sich Damen und Herren in den ersten Reihen davon überzeugen, daß die Schlösser nicht zu öffnen sind – bis ihnen Bob Rint, der Gedächtniskünstler, die Lösungszahl
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