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Der gestreifte Spanier (German Edition)

Der gestreifte Spanier (German Edition)

Titel: Der gestreifte Spanier (German Edition)
Autoren: Marion Pletzer
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Hennenherz dahin schmelzen. Doch so weit, mich in seinen Harem einzureihen, war ich noch lange nicht.
    „Lass mich bloß in Ruhe!“, sagte ich.
    Vermutlich ist es zu viel verlangt, von einem Hahn die Manieren eines Kavaliers zu erwarten. Ehe ich mich versah, drückte Artus mich mit einem gekonnten Schnabelgriff zu Boden und kletterte auf meinen Rücken. Ich wollte protestieren, aber sein Körper wog schwer. Die Sporen an seinen Beinen drückten schmerzhaft in mein Fleisch. Ich ergab mich. Eilig presste er seine Kloake auf meine, zappelte ein wenig und stieg wieder herunter.
    „Warte nur! Wenn das hier vorbei ist, kommst du in den Ofen“, drohte ich ihm und eilte zurück zum Stall, wo ich mich vor weiteren Übergriffen sicherer fühlte.
    „Überfällt Artus euch auch so ohne Vorwarnung?“, fragte ich die anwesenden Hennen.
    „Ach, der. Ein Hahn eben.“
    „Wenn ihr meint.“ Ich begann es ihnen gleich zutun und pickte am Boden nach Körnern. Fressen beruhigt.

    Die entspannte Mahlzeit wurde jäh von einem unangenehmen Druckschmerz unterbrochen. Du liebe Zeit, was war denn das jetzt?
    „Ich glaube, ich sterbe!“, rief ich voller Angst, erntete von meinen Stallkolleginnen aber nur verständnislose Blicke.
    Gehetzt sah ich mich nach einem ruhigen, dunklen Platz um und kroch ich in eines der gepolsterten Nester. Dort drehte ich mich so lange im Kreis, bis ich eine bequeme Position gefunden hatte. Die Schmerzen ließen nach. Eingehüllt vom erdigen Duft und der Wärme des Strohs, dämmerte ich weg. Auf einmal kam der Schmerz zurück.
    Ich riss die Augen auf. Mit einem tiefen Stöhnen presste ich etwas aus mir heraus. Ein feuchtes, wie Porzellan schimmerndes Ei lag in der Mulde.
    „Ein Ei! Mädels, seht mal, ein Ei!“, rief ich.
    „Ihr erstes.“ Die Hennen nickten nachsichtig.
    „Eure Eier sind braun. Meins glänzt wie Perlmutt. Es ist wunderschön.“
    Vielleicht barg es sogar neues Leben in sich. Sicherheitshalber blieb ich darauf sitzen und hielt es warm.
    Allmählich legte sich Dunkelheit über unsere kleine Welt. Die Hühner suchten ihre Ruheplätze auf. Leise gurrend sangen sie sich in den Schlaf. Die Melodie lullte mich ein.

    Als ich die Augen öffnete, tauchte die Abendsonne den Stall in schummriges Licht. Erstaunt stellte ich fest, dass ich meine menschliche Gestalt zurück gewonnen hatte.
    „Alles nur ein Traum, Clarissa?“ Sanft kraulte ich ihre Halskrause. Sie gluckste, sah mich aus bernsteinfarbenen Augen an und schüttelte den Kopf.
    „Wie auch immer. Euer Leben ist weniger beschaulich, als ich dachte. Schlaft schön.“
    In Gedanken versunken, sammelte ich die Eier aus den Legenestern – fünf braune und ein porzellanfarbenes, dessen Schale seidig schimmerte.

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