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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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liebten Juan, der immer fröhlich und kraftvoll und der Stolz meines Vaters gewesen war.
    Aber mein Vater sagte nur mit fahlem Gesicht, in dem die Augen noch dunkler als sonst brannten: ›Mehr kann und werde ich euch niemals sagen, so wahr mir Gott helfe.‹
    Ich hatte im Morgengrauen Juans Beichte im Patio mit angehört, aber ich verschloß sie in meinem Herzen. Ich bat meine Mutter, in die Stadt gehen zu dürfen, da ich neue Malfarben brauche, und sie erlaubte es mir. Eine meiner Tanten, Elisa Maria, begleitete mich natürlich, wie es für Mädchen einer Familie wie der unseren üblich war, aber sie hatte schlechte Augen, war zu eitel, außerhalb des Hauses eine Brille zu tragen, und so konnte ich ihr in den kleinen Laden entwischen, dessen Auslagen Spitzen und Wollwaren zeigten. Dort arbeitete Dolores. Die Tante hielt die Auslagen für Malereiutensilien und bemerkte meinen Betrug nicht.
    Ich konnte Dolores die Botschaft Juans zuflüstern, von ihrer Mutter, einer Witwe, scharf beobachtet, auch wenn sie sich respektvoll im Hintergrund des kleinen Gewölbes hielt.
    Und wieder schien es, als wolle ein Schrei sich erheben, aber Dolores preßte beide Hände vor den Mund und erstickte ihn.
    Ich verließ schnell das Geschäft, damit sie nichts von mir verlangen könne, ich meine, spätere Auskünfte über Juan, die ich hoffentlich erhalten würde.
    Während der Siesta an diesem Mittag, die in unserem Hause stets von zwei bis vier Uhr nachmittags gehalten wurde, kam meine Mutter zu mir, was sehr ungewöhnlich war, denn selbst wir Kinder waren angehalten, in diesen Stunden niemanden zu stören.
    Sie setzte sich in einen der hohen Korbsessel, die mit bestickten Leinenkissen gepolstert waren, und schaute mich im Halbdunkel der herabgelassenen Jalousien eine Zeitlang schweigend an.
    ›Als du zur ersten heiligen Kommunion gingst, batest du uns, später in ein Kloster eintreten zu dürfen‹, sagte sie dann. ›Wir rieten dir damals, deinen Entschluß in den kommenden Jahren genau zu prüfen, denn, wie du weißt, gibt es aus einem Leben, das nur der Liebe zu Gott geweiht ist, nur sehr selten die Rückkehr in das irdische Leben. Seit wir dir erlaubten, mit deiner Schwester und Tante nach Paris zu reisen, damit eure Bildung sich erweitere, sprachst du nicht mehr davon.‹
    Ich schloß die Augen und dachte an Burton, und daran, daß er in den nächsten Tagen in Córdoba eintreffen würde, und ein seltsames, heißes Rieseln breitete sich, aus meinem Herzen kommend, bis hinunter zu meinem Schoß aus.
    ›Mutter, ich –‹
    ›Ich denke, heute ist der Tag gekommen, an dem du deinen Entschluß in die Tat umsetzen mußt. Du als einzige weißt, was Juan getan hat. O ja, ich habe dich unter den Arkaden gesehen, du als einzige hast ihn als letzte umarmt. Und du als einzige wirst um die Vergebung seiner Sünden bitten können, in alle Ewigkeit. Amen.‹
    Sie kam zu mir, ihre Hand berührte im Kreuzzeichen meine Stirn.
    ›Öffne die Augen, Maria Christina.‹
    Ich gehorchte.
    ›Steh auf und kleide dich an. Du brauchst nichts mitzunehmen, nur dein Gebetbuch und das Kreuz unseres Vorfahren, das uns alle beschützt hat über Jahrhunderte hinweg bis auf den Sohn, den wir nun verloren haben.‹
    ›Mutter, ich –‹
    ›Steh auf, Maria Christina, und gehorche mir ein letztes Mal, wie du es immer getan hast. Der Wagen wartet schon.‹
    Mein Vater hatte ein Jahr zuvor einen Daimler-Benz gekauft, in dem unsere ganze Familie Platz fand, samt den Tanten. Es war eine Spezialanfertigung, und nun, als Mutter und ich hineinstiegen – weder meinen Vater noch meine Geschwister durfte ich noch einmal sehen – erschien mir der Wagen so riesig wie ein Eisenbahnwaggon. Seine Farben, das düstere Schwarz und Rot und die blitzenden silbernen Lampen und Armaturen erinnerten mich an einen Leichenwagen.
    Und unser Chauffeur, in der schwarzen Uniform und der schwarzen, steifen Kappe – glich er nicht einem Leichenbestatter, als er nur meine Mutter begrüßte, mich jedoch nicht, da er stets nur meine Eltern beachtete, nie aber uns Töchter, weil es ihm nicht gestattet war.
    Meine Mutter schloß die Glasscheibe zwischen ihm und uns.
    Ich wünschte, sie hätte wenigstens meine Hand genommen, aber sie rückte von mir ab und blickte starr geradeaus, all die langen Stunden der Fahrt, die mich Kilometer um Kilometer von meinen Geschwistern, meinen Tanten, die ich liebte, auch wenn sie mir manchmal auf die Nerven gegangen waren, und von meinem Vater entfernten.
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