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Rosskur: Ein Allgäu-Krimi

Rosskur: Ein Allgäu-Krimi

Titel: Rosskur: Ein Allgäu-Krimi
Autoren: Jürgen Seibold
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Sonntag, 2. Juni
    Bei schönem Wetter ließ Horst Pröbstl seine Sonntage am liebsten auf dem Pferdehof ausklingen. Bis zur Mittagszeit schnorrte er am Stammtisch im Lechstüberl vier Halbe, danach steckte er sich daheim eine Flasche Doppelkorn und zwei Scheiben Schwarzbrot in die Jackentaschen und trottete hinaus zum südwestlichen Ortsrand von Lechbruck.
    Seit Thomas Ruff, ein ehrgeiziger Pferdezüchter aus dem knapp zehn Kilometer entfernten Burggen, die mürrische Marlene Hachberger geheiratet und den Bauernhof ihrer Eltern übernommen hatte, war aus dem etwas heruntergekommenen Allerweltshof ein schmuckes Anwesen geworden. Ruff hatte noch ein paar angrenzende Wiesen dazugekauft und komplett auf Pferdezucht umgestellt. »Ruffs Rossparadies« prangte in kitschig geschwungener Schrift auf dem Holzschild über dem Einfahrtstor. Zwischen den beiden Worten befand sich eine Schnitzerei, die ein steigendes Pferd darstellte, das Gelände dahinter gehörte, so weit das Auge reichte, zum Ruff’schen Hof.
    Pröbstl schlurfte durch das Tor, umrundete die Stallungen und ließ sich auf seinem üblichen Platz nieder. Von hier aus hatte er einen herrlichen Blick über den Pferdehof und über die von idyllischen Reitwegen durchschnittenen Waldstücke, vor allem aber auf Salvatores Stall mit dem großen Fenster, dessen Klappladen meistens offen stand.
    Salvatore war Ruffs wichtigster Deckhengst und wurde von seinem Besitzer wie ein rohes Ei behandelt. Sein Stall war der schönste, und wann immer die Sonne schien und er nicht draußen herumtollen durfte, streckte er seinen langen Hals zum Fenster heraus und ließ sich die frische Luft um die Schnauze wehen.
    Auch heute schaute das Tier mit seinen dunklen Augen aufmerksam nach draußen. Die Ohren waren aufgestellt, und die Sonne brachte sein helles Fell zum Leuchten. Pröbstl versuchte ein Wiehern, und Salvatore schnaubte gutmütig zurück. Eine halbe Flasche Korn später brachte Pröbstl nur noch ein undeutliches »Wihihi« zustande, woraufhin Salvatore leise wieherte, als würde er sich über den Betrunkenen lustig machen; dann zog er den Kopf ein und erklärte die Audienz damit für beendet.
    Als Pröbstl wieder aufwachte, begann die Sonne schon unterzugehen. Er rappelte sich fluchend auf, weil ihm die offene Schnapsflasche fast ganz ausgelaufen war, und schraubte sie wieder zu. Hätte Salvatore nicht mit den Hufen gegen seinen Holzverschlag getrommelt, wäre Pröbstl verärgert heimgetorkelt, ohne etwas von den Eindringlingen zu bemerken.
    So aber schob er schnell die Flasche in seine Jacke und wankte auf den Stall zu. Der Fensterladen stand noch immer offen, und obwohl das Gebäude schon im Halbdunkel lag, konnte Pröbstl erkennen, dass sich drinnen zwei Gestalten damit abmühten, Salvatore gegen dessen wütenden Widerstand Zaumzeug überzustreifen.
    »He, lasst das!«, rief er und beschleunigte seinen Schritt, doch er strauchelte, fiel der Länge nach hin, und dann wurde es schwarz um ihn.
    »Pröbstl?«
    Thomas Ruff kniete über dem leblos daliegenden Alten und schüttelte ihn, aber es dauerte eine Weile, bis dieser reagierte. Eine intensive Schnapsfahne stieg von ihm auf, und als er sich schließlich mühsam aufrichtete, übergab er sich gleich an Ort und Stelle, bevor er es mit Ruffs Hilfe zumindest auf die Knie schaffte.
    »Mensch, Pröbstl, du saufst dir noch den Kragen ab!«
    »Sch… scho recht, ich …« Der Alte schüttelte den Kopf, massierte sich die Schläfen, sah sich um.
    »Salvatore!«, rief er plötzlich und versuchte aufzustehen. »Thomas, wie geht’s deinem Gaul?«
    »Wie soll’s ihm gehen?«
    »Da waren gerade zwei Männer …« Pröbstl verstummte und zeigte auf den Stall. »Wie spät ist es eigentlich?«
    »Kurz nach acht. Liegst du hier schon länger?«
    »Ja, ich …« Pröbstl zog die Flasche aus der Jacke und hantierte am Schraubverschluss.
    Ruff nahm sie ihm aus der Hand. »Lass das mal. Was wolltest du mir sagen?«
    »Da sind zwei Männer bei Salvatore im Stall gewesen. Die haben … die haben versucht, deinem Hengst Zaumzeug überzustreifen. Was weiß ich … vielleicht wollten sie ihn klauen. Ist Salvatore noch da?«
    »Ja, ja, der steht in seinem Stall, alles in Ordnung.«
    Pröbstl sah zwischen dem Züchter und der Stalltür hin und her.
    »Was genau hast du denn gesehen?«, hakte Ruff nach.
    »Eigentlich nur Schatten. Zwei Männer. Ich bin hingerannt, wollte sie verscheuchen, dann bin ich gestolpert …«
    »Hast du die beiden erkannt?
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