Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
Vom Netzwerk:
der heiligen Teresa wollte sie nacheifern.
    Herr, vergib mir, daß ich immer wieder gegen ihre Gebote verstoße. Herr, vergib mir, daß ich nicht vergessen kann, woher ich komme. Herr, vergib mir, daß die Geißelungen mich schmerzen, obwohl ich mich ihnen regelmäßig hingebe. Vergib mir, daß mir die Kleider zu rauh und grob erscheinen. Herr, vergib mir meine Sünden.
    »Ich habe mich oft gewundert«, sagte der Arzt, »was euch Frauen ins Kloster zieht, besonders wenn ihr schön seid, oft klug und begabt. Glaubt ihr wirklich, hier euer Glück finden zu können?«
    Maria Christina nickte heftig.
    »Im Gebet, in Armut und bei niederer Arbeit?«
    »Wir lieben Gott von ganzem Herzen, und durch ihn lieben wir die Menschen und bitten um die Vergebung ihrer Sünden.«
    Und sie dachte: Herr, vergib die Sünde meines Bruders Juan, der um des fleischlichen Begehrens willen einen Mann tötete.
    Es geschah in der Nacht, die er bei seiner Liebsten verbracht hatte. Es geschah, als er sie in der falschen Dämmerung verließ, die wie die Schwingen der Flamingos über den Himmel strich.
    Juan erkannte Marcelo im Schatten des Torbogens beim Nebenhaus, und er trat mutig auf ihn zu, denn er wußte, daß Marcelo seiner Liebsten nachstellte. Sie kannten einander von Kindheit an, Juan und Marcelito, und das machte das Ganze nur noch schlimmer.
    Juan sagte: ›Gib auf, Marcelito, Dolores gehört mir.‹
    Marcelito sagte: ›Du hast sie entehrt.‹
    Und Juan: ›Ich liebe sie und werde sie zu meiner Frau machen.‹
    ›Das werden deine Eltern nie erlauben, und du weißt es. Du hast Dolores entehrt!‹
    Juan sah, daß Marcelo ein Messer in der Hand hielt, mit dem die Zigeuner so oft ihre Streitereien austrugen, nur daß Marcelito kein Zigeuner war, sondern der Sohn eines Patriziers wie er selbst.
    ›Marcelito, tu es nicht! Ich bin dein Freund!‹
    Aber Marcelo stürzte sich auf ihn, und da zog Juan seine Pistole, die er wegen der unruhigen Zeiten nachts immer bei sich trug, Vater hatte ihn sogar dazu angehalten, und er schoß.
    Er wollte Marcelito nur ängstigen, in die Luft schießen, aber er traf Marcelo zwischen die Augen und tötete ihn.
    Und ich erwachte und hörte Stimmen, unten im Patio, die meines Vaters und die meines Bruders Juan, und dann auch die Stimme meiner Mutter, die sich zu einem Schrei erheben wollte, der aber jäh abbrach.
    Ich warf ein Morgenkleid über und lief hinunter, und ich sah Juan keuchend und blaß und zitternd vor meinem Vater stehen, und auf dem Boden lag die Pistole.
    Mein Vater sagte: ›Pack eine leichte Reisetasche, ich werde dir deinen Paß aushändigen und Geld. Du verläßt noch in dieser Stunde Córdoba und kehrst nie wieder hierher zurück.‹
    ›Und wohin soll ich gehen?‹
    ›Das will ich nicht wissen, damit ich es niemandem verraten kann. Und niemals sollst du schreiben und niemals uns Nachricht geben, wo du lebst.‹
    ›Du schickst mich in den Tod des Vergessens, daß niemand mehr weiß, ob es mich je gegeben hat?‹ fragte Juan.
    Meine Mutter stand neben meinem Vater, sie schwankte ein wenig hin und her, ihre Lippen bewegten sich, ihre Hände waren gefaltet.
    ›Darf ich euch ein letztes Mal umarmen?‹ fragte Juan nun mit einer Stimme, aus der jede Empfindung gewichen war.
    ›Nein‹, sagte mein Vater, ›und nun geh und packe.‹
    Juan zitterte am ganzen Körper, und als er sich umdrehte, um davonzugehen, schien es, als wollten seine Füße ihn nicht tragen. Er stolperte, dann lief er unter die Arkaden, in Richtung seines Zimmers.
    Und dort stand ich. Als er mich sah und erkannte, wich er vor mir zurück.
    Da lief ich auf ihn zu und umarmte ihn und küßte ihn und versprach ihm, für ihn zu beten. Und mir solle er schreiben, ohne Absender, en lista de correos, postlagernd, jede Woche würde ich nach einem Brief von ihm Ausschau halten und ihn nie vergessen.
    ›Geh zu Dolores und sage ihr, daß ich sie geliebt habe und daß ich sie geheiratet hätte, auch gegen den Willen unserer Eltern. Versprichst du mir das?‹ Und ich versprach es.
    Noch einmal umarmte ich ihn, der mit hängenden Armen vor mir stand und nicht wagte, meine Gefühle zu erwidern, da er sich als so schuldig empfand.
    Und dann ging er, und niemand von uns sah ihn je wieder.
    Beim Frühstück, im Morgenzimmer, das auch im Winter von Sonne erfüllt war, sagte Vater uns nur, daß Juan das Haus mit unbekanntem Ziel verlassen habe.
    Frederico, Evita und Louisa, meine Geschwister, bestürmten ihn mit Fragen, denn wir alle
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher