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Der Gerechte

Der Gerechte

Titel: Der Gerechte
Autoren: Jason Dark
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unwahrscheinlich und unglaublich, daß er es nicht fassen konnte, und er wußte auch, daß ihm niemand die Geschichte abnehmen würde.
    Das aber wollte er nicht tun. Der Mann spürte, daß sich in dieser Nacht eine Macht und eine Kraft offenbarten, die nur ihn etwas angingen. Nur ihn allein.
    Raniel mußte genau wie Engel aussahen. Jedenfalls nahm er es an, wenn er den Beschreibungen Glauben schenken durfte, die in den Geschichten und Legenden überliefert wurden.
    Es gab viele Meinungen über Engel. Sie waren auch verschieden, und nicht immer wurden die Engel auf die Seite des Guten gestellt. Auch über das Geschlecht herrschte Unsicherheit. In der Regel waren sie männlich, doch es gab auch bei ihnen Unterschiede. Nicht alle Engel waren visionär, es gab auch körperliche, die sich unter die Menschen mischten. Dann existierten die Elfen, die man als rebellische Engel ansah. Wegen ihres Aufruhrs waren sie aus dem Himmel hinausgeworfen worden.
    Das alles wußte er seit seiner Kindheit, denn es wiederholte sich oft in den Märchen und Legenden der Völker, die er aus dem Mund seiner Mutter kannte.
    Drei, vier Wimpernschläge lang dachte er über das Phänomen der Engel nach, während er sein Augenmerk auf die Erscheinung vor dem Fenster gerichtet hielt.
    Es war ein Wesen, das zu den feinstofflichen Personen gehörte. Es war durchscheinend, aber es hatte keine Flügel und bewegte sich wahrscheinlich durch reine Gedankenkraft. Mit Überschallgeschwindigkeit bewegte es sich von einem Ort zum anderen. Ein Traum?
    Er schüttelte den Kopf. Nein, das war kein Traum. Das hier war die Stunde des Schicksals. Das war die Minute, die er erwartet hatte. Von nun an würde sich einiges ändern. Dieses Wesen hatte die Schienen bereits gelegt, die ihn, den Menschen, auf eine bestimmte Bahn führen sollten. Hinein in etwas anderes, in ein völlig neues Erleben, in Welten, die einfach wunderbar sein würden.
    Es kostete ihn Mühe, sich zu konzentrieren. Wenn sich ihm schon die Chance bot, einen Engel genau ansehen zu können, dann wollte er es jetzt tun. Sehr genau hinschauen, sich auf ihn einstellen, bevor er die Botschaft des Wesens übermittelt bekam.
    Raniel rechnete damit, daß dieses Wesen Kontakt mit ihm aufnehmen würde. Allerdings nicht auf dem üblichen Wege, da besaßen diese Geistwesen andere Möglichkeiten. Sie würden auf einer rein geistigen Ebene mit ihm kommunizieren, und so erwartete er die Botschaft des Wesens voller Spannung.
    Nichts war zu hören.
    Aber die fahle Lichtgestalt – sie hatte ungefähr die Farbe des Mondes – bewegte sich auf ihn zu.
    Hindurch!
    Er trat überrascht einen Schritt zurück, als ihm bewußt wurde, daß der Engel sich nicht mehr vor dem Fenster aufhielt, sondern durch das Glas in die Mühle hineingelangt war.
    Kleine Eiskörner krochen über seinen Rücken. Er traute sich nicht, sich umzudrehen, aus Angst, einen Fehler zu begehen. Er war nicht mehr allein, er wußte, daß dieser Engel mit einer Botschaft zu ihm gekommen war, daß er unter Millionen von Menschen ausgesucht worden war, um dem Schicksal einen Dreh zu geben.
    Dann drehte er sich doch um, weil er den inneren Zwang spürte. Etwas anderes hatte ihn übernommen und sich klammheimlich in seinen Körper gestohlen.
    Er starrte den Geist an.
    Nein, das war es nicht. Er konnte ihn gar nicht anstarren. Er schaute hindurch, und doch war es ihm, als würde jemand vor ihm stehen aus Fleisch und Blut, denn dieser Jemand nahm tatsächlich mit ihm Kontakt auf. Raniel selbst sah nur den bleichgelben Schatten und spürte die Aura des Fremden, des Unheimlichen und des Übernatürlichen, die ihm entgegenwehte und sich zu einem kompakten Gedankenstrom konzentrierte, der in sein Gehirn eindrang.
    ›Jetzt habe ich dich gefunden.‹
    Es war eine Feststellung, der Raniel nicht widersprechen konnte. Aber was bedeutete es? Hatte diese Erscheinung ihn nur gesucht?
    War sie das Schicksal, das sich nun sichtbar zeigte? Ein Engel, der auf die Erde gekommen war und sich aus seinen himmlischen Gefilden gelöst hatte, um ihm eine Botschaft zu bringen?
    Nein, nicht Botschaft. Das war für ihn persönlich in diesem Fall viel mehr. Diese feinstoffliche Erscheinung ging die ganze Menschheit an. Es war Raniel einfach nicht möglich, ein Zittern zu unterdrücken. Er schluckte einige Male, er holte durch die Nasenlöcher Luft, er bewegte seine Augenlider, er schloß die Augen, öffnete sie wieder und rechnete damit, daß die Erscheinung verschwunden war und er sich
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