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Die Mütze

Die Mütze

Titel: Die Mütze
Autoren: Wladimir Woinowitsch
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Wenn Efim Semjonowitsch Rachlin gefragt wurde, wovon sein nächstes Buch handle, senkte er bescheiden den Blick, lächelte verlegen und antwortete: »Ich schreibe immer über gute Menschen.«
    Und seine ganze Figur gab zu verstehen, daß er deshalb über gute Menschen schrieb, weil er selbst ein guter Mensch war und im Leben nur das Gute beobachtete, das weniger Gute dagegen einfach überging.
    Seine positiven Helden waren Repräsentanten der sogenannten »mutigen« Berufe: Geologen, Glaziologen, Speläologen, Vulkanologen, Polarforscher und Alpinisten, die gegen die Elemente kämpfen, das heißt, gegen Mächte, die keiner Ideologie dienen. Das versetzte Efim in die Lage, bei der Beschreibung dieser Kämpfe auf Parteikomitees, Kreiskomitees, Gebietskomitees beinahe gänzlich zu verzichten (worauf er nicht wenig stolz war) und dennoch seine Bücher in der Reihenfolge ihres Entstehens, im Durchschnitt einen Band pro Jahr, ohne besondere Schwierigkeiten mit der Zensur oder den Redaktionen herauszubringen. Viele seiner Bücher wurden anschließend zu Theaterstücken und Drehbüchern umgeschrieben, wurden in Funk und Fernsehen gesendet, was sich auf den Wohlstand des Verfassers außerordentlich positiv auswirkte. Seine Dreizimmerwohnung war mit Importware vollgestopft: rumänische Sitzgarnitur, arabisches Bett, tschechisches Klavier, ein japanischer Fernseher Sony und ein finnischer Kühlschrank Rosen loew. Eine Sammlung von Raritäten, die der Hausherr von seinen zahlreichen Auslandsreisen mitgebracht hatte, verlieh der Wohnung eine besondere Note. Die Souvenirs hingen an den Wänden, breiteten sich über die Fußböden aus und waren auf Fensterbänken, Bücherregalen und speziell für diesen Zweck angefertigten Gestellen aufgebaut: ein Rentiergeweih, ein Walroßzahn, ein ausgestopfter Pinguin, ein Eisbärfell, der Panzer einer Riesenschildkröte, Skelette von Tiefseefischen, getrocknete Seeigel und Seesterne, Nanaizen-Mokassins, burjat-mongolische Tonfigürchen und vieles andere. Wenn Efim mir seine Sammlung vorführte, kommentierte er ehrfürchtig: »Dies hier haben mir Erdölingenieure geschenkt. Dies hier haben mir Kartographen geschenkt. Und dies hier - Höhlenforscher. «
    Die Pressebesprechungen seiner Romane fielen in der Regel sehr wohlwollend aus. Freilich, sie stammten meistens nicht aus der Feder eines Kritikers, sondern eines »Spleenologen« (so wurden alle tüchtigen Leute ungeachtet ihres wirklichen Berufs von Efims Freund Kostja Baranow genannt). Diese Rezensionen (ich vermute stark, daß sie alle von Efim selbst verfaßt wurden) glichen einander wie ein Ei dem anderen und trugen Überschriften wie »Ein nützliches Buch«, »Wichtige Lektüre«, »Etwas, das alle angeht« u. ä. Gewöhnlich enthielten sie den Hinweis, daß der Verfasser über Arbeit und Alltag der von ihm dargestellten Helden hervorragend unterrichtet und imstande sei, das romantische Ambiente ihrer gefahrvollen und schwierigen Aufgaben absolut wahrheitsgetreu zu schildern.
    In allen seinen Erzählungen (früher hatte Efim Erzählungen geschrieben), Novellen (später stellte er sich auf Novellen um) und Romanen (jetzt schreibt er nur noch Romane) treten ausgesucht schöne und gute Menschen auf, einer besser als der andere.
    Efim versicherte mir, daß die von ihm beschriebenen Personen im Leben nicht anders wären. Als eingefleischter Skeptiker hatte ich meine Zweifel. Ich wußte, daß die Menschen überall gleich sind, daß von einer treibenden Eisscholle in einem sowjetischen Kollektiv Parteikarrieristen, Spitzel und mindestens ein hauptamtlicher Mitarbeiter der Staatssicherheit nicht wegzudenken sind, weil, selbst unter den Bedingungen vollständiger Isolation und langjähriger Abwesenheit von der Heimat, manche Mutige von dem Wunsch übermannt werden, einen ideologisch unreifen Gedanken zu äußern oder einen, politisch gesehen, zweifelhaften Witz zu erzählen. Von der Möglichkeit ganz zu schweigen, daß eben diese Eisscholle auf einmal ganz eigene Wege einschlagen kann und es keine Garantie dafür gibt, daß nicht einer dieser guten Menschen die Kühnheit aufbringt, an einem fremden Gestade Wurzeln zu schlagen.
    Wenn ich Efim diese zynische Meinung unterbreitete, vergaß er sich sogar soweit, seinem Ärger Luft zu machen und eifrig zu beteuern, ich sei im Irrtum, unter harten Bedingungen lebe man nach anderen Gesetzen, und Mutige wären sowieso nicht nach den üblichen Maßstäben zu beurteilen. »Wieso denn nicht?« fragte ich.
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