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Der Gerechte

Der Gerechte

Titel: Der Gerechte
Autoren: Jason Dark
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sein Versprechen auch gehalten, was Raniel kaum nachvollziehen konnte. Er ging durch den Raum, hielt den Kopf nach hinten gedrückt und die Handfläche gegen seine Stirn gepreßt. Das durfte doch nicht wahr sein, das war unbegreifbar, aber es war herrlich. Zwei in einem.
    Der Engel steckte jetzt in ihm.
    Raniel fühlte sich gestärkt. Die Macht kreiste durch seine Adern. Sie war eine Stimulanz, ein Rauschmittel, das er eingenommen hatte. Er wußte, daß er mächtig war und daß eine gewaltige Aufgabe vor ihm lag, denn der Besucher hatte ihm ein Wort gesagt, das er nicht vergessen konnte. Er war jetzt der Gerechte!
    Als Raniel daran dachte, blieb er stehen und straffte unwillkürlich seine Schultern. Es rieselte durch seinen Körper, er fühlte sich wahnsinnig gut und stark. Es konnte kommen, was wollte, niemand würde sich ihm noch entgegenstellen können.
    Er war der Gerechte!
    Dieser Gedanke zuckte durch seinen Kopf, wurde sehr schnell von anderen verdrängt, weil er in seinem neuen Zustand und als neuer Mensch ebenfalls neue Aufgaben bekommen hatte, die ihm mit dieser Verwandlung übertragen worden waren.
    Als Gerechter mußte er auch gerecht handeln.
    Und es gab verdammt viel Ungerechtigkeit in dieser verfluchten Welt. Raniel versuchte, sich auf Einzelheiten zu konzentrieren, was ihm nicht gelang. Er schaffte es nur, die Ungerechtigkeit als globale Tatsache zu akzeptieren.
    Irgendwo aber würde er anfangen…
    Zeit – ja, er brauchte Zeit. Er mußte alles überlegen. Schon jetzt wollte er damit beginnen, mitten in der Nacht, denn Müdigkeit wie ein normaler Mensch spürte er nicht.
    Er ging.
    Oder schwebte er?
    Alles war für ihn anders geworden. Er nahm seine Umgebung mit völlig fremden Augen auf. Sein Wahrnehmungsvermögen hatte sich unheimlich geschärft, der Blick, der Geschmack, all das war fast übermenschlich geworden. Raniel fiel ein, daß er nicht mehr allein war. In ihm steckte noch ein anderer, zwar kein Mensch mehr, aber ein Geist aus einer anderen Sphäre und Dimension.
    Der gab ihm die Kraft, das neue Gefühl.
    War er unbesiegbar?
    Als er sich diese Frage stellte, war es ihm sogar möglich, eine Antwort zu geben.
    Ja, er hielt sich für unbesiegbar. Und er war es auch. Er würde alles schaffen, was er sich vornahm. Ihn konnte nichts und niemand mehr aufhalten. Er würde es ihnen zeigen.
    Der Gerechte!
    Welch ein Name. Fast erschauerte Raniel davor, und plötzlich gefiel ihm sein Name nicht nur. Er war für ihn so etwas wie ein Omen, eine Offenbarung, denn diesmal paßte er.
    Wunderbar fügte er sich in sein neues Leben ein. Dieser Name brachte ihn voran, und Raniel wußte, daß er sich seiner neuen Aufgabe stellen würde.
    Er liebte diese einsame Mühle, den kleinen Teich in der Nähe, die Weite des Landes, die zahlreichen Hügel, die kleinen Wälder, die Bäche, die alten Brücken und die struppigen Gehölze in der Umgebung, denn hierher würde so leicht niemand kommen. Er paßte hinein, es war seine kleine Welt, in die er sich zurückziehen konnte, von der er auch starten mußte, wenn er unterwegs war.
    Ein Wunder…
    Es war nicht mehr so dunkel. Er schaute sich deshalb um. Die Sucht nach einem Spiegel überfiel ihn. Er hätte sich gern selbst darin gesehen, um erkennen zu können, ob er sich auch körperlich verändert hatte. Wie sah sein Gesicht aus?
    Hatte die Haut auch einen anderen Ausdruck bekommen? War sie bleicher geworden? Vielleicht durchscheinend wie bei einem engelhaften Wesen? Irgendwo mußte sich doch einfach zeigen, daß der Engel und er zu einer Person zusammengeschmolzen waren.
    Einen Spiegel gab es hier oben nicht. Nach unten wollte er auch nicht gehen, und so schritt er auf das bis zum Boden reichende Fenster zu, seinem Lieblingsplatz, der ihm einen so weiten Blick in das Land hinaus gewährte.
    Von dort war das Wesen gekommen, dessen Namen er nicht einmal wußte. Auch Engel hatten einen Namen, einer hätte auch Raniel heißen können. Doch so hieß er.
    War er jetzt ein Engel?
    Der Gedanke zuckte plötzlich durch seinen Kopf. So unwahrscheinlich war es nicht, aber er konnte auch nicht direkt zustimmen, denn als Engel wäre er kein Mensch gewesen.
    Er war also beides.
    Halb Mensch und halb Engel.
    Addierte er beide Hälften, so entstand ein neuer Begriff. Ein Mensch-Engel oder Engelmensch – oder der Gerechte!
    Ja, so mußte es sein, und er straffte sich, als er daran dachte. Er war der Gerechte. Er hatte eine neue Aufgabe zu erledigen, er würde sie auch
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