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Der Gerechte

Der Gerechte

Titel: Der Gerechte
Autoren: Jason Dark
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durchführen.
    Hätte er jetzt einen Spiegel zur Hand gehabt und hätte er seine Augen darin sehen können, wäre ihm der andere Glanz in den Pupillen aufgefallen. Er war anders, er war strahlend, von einer leichten und zugleich dichten Bläue, sehr faszinierend. Die Dunkelheit war nicht mehr vorhanden. Über diesen Glanz aber hatte sich ein zweiter geschoben. Man konnte ihn kaum beschreiben, er besaß etwas Fremdes, Ätherisches, ein Glanz, der eigentlich nicht von dieser Welt stammte. Silbrig…
    Er schimmerte. Er war wie ein Spiegel hinter dem Blau, als könnten seine Augen nach innen sehen, um die Blicke durch Welten streifen zu lassen, die nur für ihn sichtbar waren.
    Er lächelte.
    Seine Lippen bewegten sich wie in einem Zeitlupentempo. Raniel wußte, daß er alle Zeit der Welt hatte. Es gab keine Hast mehr in ihm, keinen Ärger, keine Hetze, aber es existierte eine wahnsinnige Entschlossenheit, die Ziele zu erreichen, die er sich gesteckt hatte. Er war der Gerechte.
    Auf ihn wartete jede Menge ›Arbeit‹.
    Die Welt war so verdammt ungerecht, und er wollte einen kleinen Teil dazu beitragen, um dies zu ändern.
    Er nickte entschlossen, hatte vergessen, daß er dicht vor dem Fenster stand, ging einen Schritt weiter und hätte gegen das Glas stoßen müssen. Im letzten Augenblick streckte er die rechte Hand vor. Kein Widerstand mehr.
    Sie glitt durch das Glas hindurch, als wäre es überhaupt nicht vorhanden.
    Im ersten Moment erschrak Raniel zutiefst. Er konnte es kaum glauben und dachte an eine Täuschung.
    Er probierte es noch einmal.
    Wieder dasselbe. Kein Widerstand.
    Und plötzlich wurde Raniel klar, welche Möglichkeiten ihm zur Verfügung standen. Sie waren einfach unermeßlich, er konnte sie kaum fassen. Er schüttelte den Kopf, er lachte, er jubelte innerlich, und seine seelische und seine körperliche Stärke nahmen zu.
    »Ich bin der Gerechte«, flüsterte er und fügte anschließend in Gedanken hinzu: Die Welt wird noch von mir hören…
    ***
    Wieder einmal hatte es nur die verdammte Pampe gegeben. Einen Brei aus Bohnen und Kartoffeln. Hineingekocht das Mieseste vom Hammel, fett, grau und zäh.
    Und wie immer hatten sich die Gefangenen beschwert, und wie immer dieselbe Antwort von den Aufpassern erhalten, deren Stimmen gleichgültig klangen, als hätte ein Automat gesprochen.
    »Was wollt ihr denn? Seid froh, daß ihr überhaupt was bekommt. Der Staat hat kein Geld. Ihr habt den Staat und die Gesellschaft geschädigt, und jetzt verlangt ihr dafür als Belohnung noch ein Fünf-Sterne-Menü. Das ist nicht drin…«
    Genau, das war nicht drin.
    So wie die anderen Gefangenen wußte es auch Jeff Goldblatt, der eine dreijährige Strafe verbüßte und sehr darauf hoffte, daß er begnadigt wurde und man ihm sechs Monate schenkte.
    Er aß.
    Er schaufelte und würgte das widerlich fette Hammelfleisch hinunter. Unter der Decke des Speisesaals hingen die kalten Kugellampen wie Eismonde. Ihr Licht besaß ebensowenig Wärme wie die gesamte Atmosphäre im Saal. Da paßte sie sich dem verdammten Knast an, der so überfüllt war, daß nicht alle Gefangenen auf einmal im Speisesaal ihren Platz hatten und in zwei Schichten gegessen werden mußte. Die meisten der Männer starrten dumpf auf ihre Teller. Manche schoben sie zurück, kaum daß sie etwas von dem Essen probiert hatten. Andere machten es wie Goldblatt. Sie aßen das Zeug und hofften darauf, daß es am nächsten Tag besser sein würde. Goldblatt trug noch seine Arbeitskleidung. Er schaffte in der Schlosserei im Knast, wo die Dinge repariert wurden, die Häftlinge in sinnloser Zerstörungswut zertrümmert hatten.
    Er saß ziemlich weit hinten. Auf ihn brauchten die Wächter nicht so scharf zu achten wie auf die Kerle, die weiter vorn hockten und zu den Schwerverbrechern und Mördern zählten.
    Auch Goldblatt hatte Menschenleben auf dem Gewissen, allerdings nicht vorsätzlich. Er war ›nur‹ mit seinem Wagen von der Straße abgekommen und in einen Campground gerast. Dabei war es zu Feuer und Explosionen gekommen, und mehrere Menschen hatten den Tod gefunden.
    Drei Jahre hatte Goldblatt dafür bekommen. Dreimal 365 Tage, einer länger als der andere.
    Scheiße, dachte er wieder. Wenn ein Flugkapitän Mist macht, buchtet ihn kein Schwein ein.
    Tief in seinem Innern regte sich das Gewissen. Ein Flugkapitän ist auch nicht betrunken.
    Das war er zwar auch nicht, aber er hatte einen getrunken und Tabletten genommen. In diesem Zustand hatte er sich hinter das
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