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Der Gerechte

Der Gerechte

Titel: Der Gerechte
Autoren: Jason Dark
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wartete er ab.
    Raniel beobachtete den Himmel.
    Er zeigte sich noch immer unverändert. Sehr weit, sehr grau, dabei bleich und leicht gläsern, mit einem fast vollen und bleichen Mond in der Mitte.
    Er wollte sich schon abwenden, als er – so kam es ihm jedenfalls vor – in Höhe des Mondes einen Reflex wahrnahm. Ein Lichtpunkt, einer Sternschnuppe nicht unähnlich, aber diese ›Schnuppe‹ verblaßte nicht. Sie blieb und vergrößerte sich, wobei sie sich nicht senkte. Sie zuckte wie ein helles Spinnenbein durch die Finsternis, um sich auf ein Ziel einpendeln zu können.
    Raniel hielt den Atem an!
    Geschichten aus seiner Kindheit wirbelten die Erinnerung auf. Er sah sich auf dem Schoß seiner Mutter sitzen und ihr zuhören, während sie erzählte. Die Märchen aus aller Welt kannte sie beinahe auswendig, und sie erzählte mit einer Intensität, daß der kleine Raniel stets das Gefühl bekam, inmitten des geheimnisvollen Geschehens zu stehen, bei dem sich alles um Elfen, Riesen, böse Hexen oder unschuldige Menschen drehte. Wunderschöne Märchen, die ihn durch die sanfte Stimme seiner Mutter entführten.
    Und sie hatte auch von den Sternschnuppen berichtet, die, wenn sie erschienen, etwas Besonderes waren. Denn dann konnte sich der Zeuge etwas wünschen.
    Über Raniels Gesicht huschte ein Lächeln. Er hielt den Blick nach vorn gerichtet, seine Augen waren weit geöffnet.
    Die Pupillen glichen starren, schwarzen Ölpfützen. In seinem Innern drängte sich die Erwartung hoch wie ein Gewitter. Er spürte die Spannung, als wäre sein Körper zu einem Bogen geworden, der dicht vor der Überdehnung stand.
    Das Licht galt nur einer Person – ihm!
    Raniel wußte dies mit einer Klarheit, die ihn beinahe erschreckt hätte. Auf seinem Gesicht zuckte es. Vor ihm öffnete sich der Himmel zu einer nie gekannten Weite. Er schaute noch tiefer hinein. Sein Blick drang hinter die Dinge, das Herz schlug schnell wie eine alte Maschine, deren Kolben heftig arbeiteten und pumpten.
    Der weite Himmel blieb dunkel.
    Nur dort, wo sich das Licht zeigte, entstand immer wieder und nur für kurze Zeit dieser wunderbare helle Streifen, der sich dann beugte und ein Ziel anvisierte.
    Raniel stand vor dem Fenster. Noch immer berührten seine Handflächen die Scheibe, noch immer tobte in seinem Innern ein gewaltiger Sturm, und er zitterte vor Vorfreude.
    Geschafft! Ja, er hatte es geschafft. Das war die Botschaft, auf die er so lange gewartet hatte.
    »Komm!« keucht er. »Komm zu mir…«
    Und das Licht gehorchte. Es hatte sich verwandelt, es war zu einem langen Streifen geworden, der langsam dem Fenster entgegensank, als wollte er in die Scheibe eintauchen.
    Der Beobachter wußte nicht genau, was dieses Licht von ihm wollte, ob es eine verlorene Seele war, die mit ihm Kontakt aufnehmen wollte, aber er war nicht mehr in der Lage, seinen Blick zur Seite zu wenden. Wie hypnotisiert schaute er hin.
    Und es veränderte sich.
    Nein, das stimmte nicht. Es erfuhr keine Veränderung, es blieb so, aber Raniel sah den Schein zum erstenmal so deutlich, weil er jetzt sehr nahe herangeschwebt war.
    Das war kein Schein mehr, das war… das war…
    Seine Kehle trocknete aus. Er konnte es nicht fassen, nicht glauben. Das war eine Gestalt.
    Durchscheinend und feinstofflich…
    Raniel durchzuckte es. Das Gefühl war heiß. Ein Schwert aus Flammen durchbohrte ihn, und er dachte daran, daß es noch nicht lange zurücklag, als er über seinen Namen nachgedacht hatte. So auch jetzt.
    Er hieß Raniel. Und was ihm da entgegenschwebte, war ein Geist – mehr noch, es war ein wunderbarer und herrlicher Engel…
    Ein Engel!
    Er konnte es nicht fassen. Es war zu wunderbar für ihn, zu einmalig. Sein Mund klappte auf, ohne daß ein Laut über die Lippen gedrungen wäre. Er blieb einfach stehen und staunte.
    Die Gänsehaut strich über seinen Körper, als wäre sie von einem Pinsel geführt worden, und allmählich begriff er die gesamte Tragweite dessen, was da draußen passiert war.
    Er hatte Besuch von einem Engel bekommen!
    ***
    Ihm blieb der Speichel weg, der Mund trocknete aus. Hätte ihn jemand nach seiner Meinung gefragt, er wäre nicht in der Lage gewesen, ihm eine Antwort zu geben. So ausgetrocknet war seine Kehle. Raniel stand hinter dem Fenster und kam sich selbst vor wie jemand, der seinen Körper zur Seite gedrängt hatte und nur mehr ein Schatten war. Wie wundervoll.
    Gleichzeitig drückte sich die Furcht in ihm hoch. Was er hier und jetzt erlebte, war so
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