Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der gelbe Tod

Titel: Der gelbe Tod
Autoren: Robert W. Chambers
Vom Netzwerk:
Säuberung beendet, sprang jetzt weich zu Boden und ging zur Tür, um zu schnuppern. Er kniete sich neben ihr nieder, öffnete das Strumpfband und hielt es einen Moment lang in den Händen. Nach einer Weile sagte er: »Hier ist ein Name in die Silberschnalle unter der Lasche eingraviert. Es ist ein hübscher Name: Sylvia Elven. Sylvia ist ein Frauenname, Elven ist der Name einer Stadt. In Paris, in diesem Viertel, und vor allem in dieser Straße der Vier Winde werden Namen getragen und abgelegt, wie die Mode mit den Jahreszeiten wechselt. Ich kenne die kleine Stadt Elven, denn dort ist mir das Schicksal von Angesicht zu Angesicht entgegengetreten, und das Schicksal war unfreundlich. Aber weißt du, daß das Schicksal in Elven einen anderen Namen trug, und daß dieser Name Sylvia war?«
    Er legte ihr das Strumpfband wieder an. Dann stand er auf und sah auf die Katze hinunter, die vor der geschlossenen Tür kauerte.
    »Der Name Elven übt eine Anziehung auf mich aus. Er kündet mir von Wiesen und klaren Bächen. Der Name Sylvia betrübt mich wie der Duft von toten Blumen.«
    Die Katze miaute.
    »Ja, ja«, beschwichtigte er sie, »ich werde dich zurückbringen. Deine Sylvia ist nicht meine Sylvia; die Welt ist groß, und Elven ist nicht unbekannt. Aber in der Finsternis und dem Schmutz des armseligeren Paris, in den traurigen Schatten dieses alten Hauses, sind mir diese Namen sehr teuer.«
    .Er hob sie auf die Arme und ging durch den stillen Flur zur Treppe. Fünf Stockwerke hinunter und in den mondbeschienenen Hof, vorbei an der Höhle des kleinen Bildhauers, dann zum Tor des Nordflügels wieder hinein und die wurmzerfressenen Stiegen hinauf eilte er, bis er an einer geschlossenen Tür anlangte. Er stand schon eine ganze Weile und klopfte, als sich hinter der Tür etwas bewegte; sie öffnete sich, und er trat ein. Als er die Schwelle überschritt, sprang die Katze von seinem Arm hinein in die Schatten. Er lauschte, konnte aber nichts hören. Die Stille war bedrückend, und er entzündete ein Streichholz. Neben seinem Ellbogen stand ein Tisch und auf dem Tisch eine Kerze in einem vergoldeten Kerzenhalter. Die zündete er an und sah sich um. Das Zimmer war groß, die Vorhänge schwer von Stickerei. Über dem Kamin ragte ein gemeißelter Sims, der grau war von der Asche erloschener Feuer. In einer Nische neben den tiefliegenden Fenstern stand ein Bett, von dem die Tücher, weich und fein wie geklöppelte Spitze, auf den Boden hinabflössen. Er hob die Kerze über den Kopf. Ein Taschentuch lag vor seinen Füßen. Ein flüchtiger Duft hing darin. Er wandte sich den Fenstern zu. Davor stand ein CANAPÉ, auf dem ein Seidengewand, ein Haufen Spitzenwäsche, weiß und fein wie Spinnweben und lange, zerknitterte Handschuhe durcheinandergeworfen lagen, und auf dem Boden darunter kleine spitze Schuhe und ein Strumpfband aus rosa Seide, altmodisch geblümt und mit einer Silberschnalle geschlossen. Verwundert trat er vor und zog die schweren Bettvorhänge auseinander. Einen Augenblick lang flackerte die Kerze in seiner Hand; dann traf sein Blick auf zwei Augen, weit geöffnet und lächelnd, und die Kerzenflamme flutete über Haar, das so schwer war wie Gold.
    Sie war bleich, aber nicht so weiß wie er; ihre Augen waren unbekümmert, wie die eines Kindes; er aber stand starr, zitternd von Kopf bis Fuß, und die Kerze zuckte in seiner Hand.
    Schließlich flüsterte er: »Sylvia, ich bin es.«
    Und wieder: »Ich bin es.«
    Dann küßte er sie, wissend, daß sie tot war, auf den Mund. Und während der langen Wachen der Nacht schnurrte die Katze auf seinen Knieen, streckte ihre gepolsterten Krallen und zog sie wieder ein, bis der Himmel fahl wurde über der Straße der Vier Winde.
     
    ENDE
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher