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Der gelbe Tod

Titel: Der gelbe Tod
Autoren: Robert W. Chambers
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und brach das Brot, und ich saß und betrachtete ihre weißen Hände und wagte nicht, die Augen zu ihr zu erheben.
    »Wollen Sie nichts essen?« fragte sie. »Warum sehen Sie so betrübt aus?«
    Ach, warum? Ich wußte es jetzt. Ich wußte, daß ich mein Leben dafür hingeben würde, diese rosigen Handflächen mit den Lippen berühren zu dürfen – mir wurde jetzt klar, daß, von dem Augenblick an, in dem ich am Abend zuvor in ihre dunklen Augen geschaut hatte, ich sie geliebt hatte. Meine überwältigende und plötzliche Leidenschaft raubte mir den Atem.
    »Geht es Ihnen nicht gut?« fragte sie.
    Dann sagte ich leise, wie einer, der sein eigenes Urteil verkündet: »Ja, mir geht es nicht gut, aus Liebe zu Ihnen.« Und als sie sich weder rührte noch antwortete, bewegte dieselbe Macht, die sich meinem Einfluß entzog, meine Lippen, und ich sagte: »Ich, der ich den geringsten Ihrer Gedanken nicht verdiene, ich, der ich die Gastfreundschaft mißbrauche und Ihre freundliche Höflichkeit mit unverschämter Vermessenheit vergelte, ich liebe Sie.«
    Sie legte ihren Kopf in die Hände und antwortete leise: »Ich liebe Sie. Ihre Worte sind mir sehr teuer. Ich liebe Sie.«
    »Dann werden Sie mich erhören.«
    »Sie erhören«, erwiderte sie.
    Aber die ganze Zeit über hatte ich still dagesessen und ihr das Gesicht zugewandt. Sie saß mir ebenso schweigend gegenüber, das liebliche Gesicht in die Hände gelegt, und als ihre Augen meine trafen, wußte ich, daß weder sie noch ich in menschlicher Sprache gesprochen hatte. Aber ich wußte, daß ihre Seele der meinen geantwortet hatte, und ich straffte mich, und ein Gefühl von Jugend und jauchzender Liebe pulsierte in meinen Adern. Sie, mit freudig geröteten Wangen, schien wie eine, die aus einem Traum erwacht, und ihre Augen suchten meine mit einem fragenden Blick, der mich vor Freude erschauern ließ. Wir frühstückten und sprachen von uns selbst. Ich nannte ihr meinen Namen, und sie sagte mir den ihren, Mademoiselle Jeanne d’Ys.
    Sie sprach vom Tode ihres Vaters und ihrer Mutter und wie sie die neunzehn Jahre ihres Lebens in dem kleinen befestigten Hof allein mit ihrer Kinderfrau Pelargie, Glemarec René, dem Piqueur und den vier Falknern Raoul, Gaston, Hastur und Sieur Piriou Louis, der Vaterstatt an ihr vertreten hatte, verbracht hatte. Sie war nie über das Moorland hinausgekommen – hatte, außer den Falknern und Pelargie, niemals zuvor eine Menschenseele gesehen. Sie wußte nicht, wie sie von Kerselec gehört hatte. Vielleicht hatten die Falkner davon gesprochen. Von ihrer Kinderfrau Pelargie kannte sie die Legenden von Loup Garou und Jeanne de la Flamme. Sie stickte und sponn Flachs. Ihre Falken und Jagdhunde waren ihre einzige Zerstreuung. Als sie mir draußen im Moor begegnet war, war sie so erschrocken, daß sie beim Klang meiner Stimme fast den Boden unter den Füßen verloren hätte. Es stimmte, sie hatte von den Klippen aus Schiffe auf dem Meer gesehen, aber soweit das Auge reichte, waren die Sümpfe, durch die sie dahin jagte, bar jeden menschlichen Lebens. Es gab eine Legende, die die alte Pelargie erzählte, daß jeder, der sich einmal in dem unerforschten Moorland verirrte, niemals zurückkehrte, da über den Sümpfen ein Fluch lag. Sie wußte nicht, ob es wahr war, sie hatte niemals darüber nachgedacht, bis sie mich gesehen hatte. Sie wußte auch nicht, ob die Falkner draußen gewesen waren oder ob sie dorthin gelangen konnten, wenn sie es wollten. Die Bücher im Haus, die Pelargie, die Kinderfrau, sie zu lesen gelehrt hatte, waren Hunderte von Jahren alt. All dies erzählte sie mir mit einer rührenden Ernsthaftigkeit, die man sonst gewöhnlich bei Kindern findet. Meinen Namen fand sie leicht auszusprechen und bestand darauf, daß französisches Blut in meinen Adern fließen müsse, da mein Vorname Philip lautete. Sie schien nicht neugierig zu sein, etwas über die Außenwelt zu erfahren, und ich dachte, daß sie vielleicht annahm, daß es ihr Interesse für und ihre Achtung vor den Geschichten der Kinderfrau untergraben könnte.
    Wir saßen immer noch am Tisch, und sie warf den kleinen Feldvögeln, die furchtlos bis dicht vor unsere Füße hüpften, Trauben zu. Ich begann, unbestimmt von Aufbruch zu sprechen, aber sie wollte nichts davon hören, und bevor ich noch wußte, wie mir geschah, hatte ich versprochen, eine Woche zu bleiben und mit Falken und Hunden in ihrer Gesellschaft zu jagen. Ich hatte auch die Erlaubnis erhalten, von Kerselec aus
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