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Der gelbe Tod

Titel: Der gelbe Tod
Autoren: Robert W. Chambers
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wiederzukommen und sie zu besuchen, wenn ich erst zurückgekehrt war.
    »Wahrhaftig«, sagte Sie unschuldig, »ich wüßte nicht, was ich tun sollte, wenn Sie nie mehr zurückkämen.« Und ich, wissend, daß ich kein Recht hatte, sie mit einem plötzlichen Schlag zu wecken, den das Geständnis meiner Liebe ihr versetzen mußte, saß schweigend da und wagte kaum, zu atmen.
    »Werden Sie sehr oft kommen?« fragte sie.
    »Sehr oft«, sagte ich.
    »Jeden Tag?«
    »Jeden Tag.«
    »Ach«, seufzte sie, »ich bin sehr glücklich – kommen Sie und sehen Sie sich meine Falken an.«
    Sie erhob sich und nahm mich wieder mit kindlicher, besitzergreifender Unschuld bei der Hand, und wir gelangten durch den Garten und unter Obstbäumen zu einer Rasenfläche, die von einem Bach begrenzt war. Fünfzehn oder zwanzig Baumstümpfe waren über den Rasen verstreut, halb vom Gras bedeckt, und auf allen außer zweien saßen Falken. Sie waren mit Riemen an die Stümpfe gebunden, die ihrerseits mit Stahlnieten an den Füßen, genau über den Fängen befestigt waren. Ein kleines Rinnsal reinen Quellwassers schlängelte sich in bequem erreichbarer Entfernung an jeder Sitzstange vorüber.
    Die Vögel brachen in lautes Geschrei aus, als das Mädchen erschien, aber sie ging von einem zum anderen, streichelte die einen, nahm andere für einen Augenblick auf die Hand oder beugte sich nieder, um ihre Fußriemen zu richten.
    »Sind sie nicht schön?« sagte sie. »Schauen Sie, hier ist ein Turmfalke. Wir nennen ihn ›unedel‹, weil er das Wild in direkter Jagd erbeutet. Dies ist ein Blaufalke. In der Falknerei nennen wir ihn ›edel‹, weil er sich über die Beute aufschwingt und, sich drehend, auf sie niederstößt. Dieser weiße Vogel ist ein Polarfalke aus dem Norden. Er ist auch ›edel‹. Hier ist ein Merlin, und dieser Terzel ist ein Taubenstößer.«
    Ich fragte sie, woher sie die alte Sprache der Falknerei gelernt habe. Sie erinnerte sich nicht, meinte aber, daß ihr Vater sie darin unterwiesen haben mußte, als sie noch sehr jung war.
    Dann führte sie mich fort und zeigte mir die jungen Falken, die noch im Nest saßen. »Sie werden in der Falknerei NIAIS genannt«, erklärte sie. »Ein BRANCHIER ist ein junger Vogel, der gerade das Nest verlassen und von Ast zu Ast hüpfen kann. Ein Jungvogel, der sich noch nicht gemausert hat, heißt SORS, und ein MUÈ ist ein Falke, der sich in Gefangenschaft gemausert hat. Wenn wir einen wilden Falken fangen, der die Federn schon gewechselt hat, nennen wir ihn HAGARD. Raoul zeigte mir als erster, wie man einen Falken dressiert. Möchten Sie wissen, wie man es macht?«
    Sie ließ sich am Ufer des Baches unter den Falken nieder, und ich warf mich ihr zu Füßen, um zu lauschen.
    Dann hob das Fräulein d’Ys ihren rosigen Finger und begann sehr würdevoll.
    »Zuerst muß man den Falken fangen.«
    »Ich bin gefangen«, antwortete ich.
    Sie lachte sehr herzlich und meinte, daß meine Dressur möglicherweise schwierig werden könne, da ich edel sei.
    »Ich bin bereits gezähmt«, erwiderte ich, »angebunden und mit einer Glocke versehen.«
    Sie lachte entzückt. »Ach, mein tapferer Falke, du wirst also auf meinen Ruf zurückkehren?«
    »Ich bin dein«, antwortete ich ernst.
    Sie schwieg einen Augenblick. Dann röteten sich ihre Wangen. Wieder hob sie den Finger und sagte: »Hören Sie zu, ich möchte über die Falkner reden –«
    »Ich höre zu, Comtess Jeanne d’Ys.«
    Wieder versank sie in Träumerei, und ihre Augen schienen auf etwas gerichtet, das jenseits der Wolken lag.
    »Philip«, sagte sie schließlich.
    »Jeanne«, flüsterte ich.
    »Das ist alles – das ist es, was ich wollte«, seufzte sie. »Philip und Jeanne.«
    Sie streckte mir ihre Hand entgegen, und ich berührte sie mit den Lippen.
    »Erringe mich«, sagte sie, aber diesmal redeten Körper und Seele im Einklang.
    Nach einer Weile begann sie wieder: »Laß uns von der Falknerei sprechen.«
    »Fang an«, gab ich zurück, »wir haben den Falken gefangen.«
    Dann nahm Jeanne d’Ys meine Hand in die ihre und erklärte mir, wie dem jungen Falken mit unendlicher Geduld gelehrt wurde, auf dem Handgelenk zu sitzen, wie er sich Stück für Stück daran gewöhnte, die glockenbehangenen Fußschlaufen und den CHAPERON À CORNETTE zu tragen.
    »Zuerst müssen sie guten Appetit entwickeln«, sagte sie. »Dann verringere ich ihre Nahrung, die in der Falknerei PÂT genannt wird. Wenn ich den HAGARD nach vielen Nächten, die er AU BLOC verbracht hat
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