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Der gelbe Tod

Titel: Der gelbe Tod
Autoren: Robert W. Chambers
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Rücken zukehrte, sich zu putzen.
    »Nur zu!« sagte Severn teilnahmsvoll. »Du kannst es brauchen.«
    Sie legte ein Ohr an, drehte sich aber weder um noch unterbrach sie ihre Toilette. Als der Schmutz langsam wich, bemerkte Severn, daß sie von Natur aus eine weiße Katze war. Ihr Fell war stellenweise verschwunden, entweder durch Krankheit oder die Gefahren des Kampfes, ihr Schwanz war knöchern und ihr Rückgrat stand scharf hervor. Aber die Reize, die sie besaß, kamen unter heftigem Lecken zum Vorschein, und er wartete das Ende der Säuberung ab, bevor er die Unterhaltung wieder aufnahm. Als sie schließlich die Augen schloß und die Vorderpfoten unter der Brust kreuzte, begann er wieder sehr freundlich: »Miez, erzähl mir deine Sorgen.«
    Beim Klang seiner Stimme brach sie in ein rauhes Grollen aus, in dem er den Versuch, zu schnurren, erkannte. Er bückte sich, um ihren Kopf zu streicheln, und sie miaute wieder, ein liebenswürdiges, fragendes kleines Miauen, auf das er erwiderte: »Natürlich, du hast große Fortschritte gemacht, und wenn du dein Federkleid wiederhergestellt hast, wirst du ein prachtvoller Vogel sein.« Sehr geschmeichelt erhob sie sich und umstreifte immer wieder seine Füße, stieß ihren Kopf dazwischen und machte erfreute Bemerkungen, auf die er mit ausgesuchter Höflichkeit antwortete.
    »Was hat dich hierher geführt?« fragte er. »Hierher in die Straße der Vier Winde, fünf Stockwerke hinauf und genau vor die Tür, an der du willkommen sein würdest? Was hat dich an deiner in Gedanken vollzogenen Flucht gehindert, als ich mich von der Leinwand abwandte und deine gelben Augen traf? Bist du eine Katze des Quartier Latin, wie ich ein Mensch des Quartier Latin bin? Und warum trägst du ein rosafarbenes, geblümtes Strumpfband um den Hals?« Die Katze war auf seinen Schoß gesprungen und schnurrte, als er die Hand über ihr dünnes Fell gleiten ließ.
    »Verzeih mir«, fuhr er mit schläfriger, beruhigender Stimme fort, im Einklang mit ihrem Schnurren, »wenn ich aufdringlich erscheine, aber ich kann meine Gedanken nicht von diesem rosafarbenen Strumpfband lösen, das so altmodisch geblümt und mit einer silbernen Schnalle befestigt ist. Denn die Schnalle ist silbern, ich sehe den Prägestempel am Rande, wie es das Gesetz der französischen Republik vorschreibt. Also, warum ist dieses Strumpfband aus rosa Seide gewebt und fein bestickt? Warum trägst du dieses Seidenstrumpfband mit seiner silbernen Schnalle um deinen verhungerten Hals? Bin ich indiskret, wenn ich dich frage, ob seine Besitzerin auch deine Besitzerin ist? Ist es eine bejahrte Dame, die in der Erinnerung an ihre jungendlichen Torheiten lebt, liebevoll, vernarrt in dich, und die dich mit ihren intimsten Dingen schmückt? Der Umfang des Strumpfbandes läßt es vermuten, denn dein Hals ist mager, und das Strumpfband paßt dir. Aber ich bemerke auch – ich bemerke fast alles –, daß man dieses Strumpfband wesentlich weiter machen kann. Diese kleinen, silbergeränderten Ösen, von denen ich fünf zähle, sind der Beweis dafür. Und jetzt fällt mir auf, daß die fünfte Öse ausgeweitet ist, als wäre die Schnalle gewöhnlich in ihr befestigt. Das scheint auf eine wohlgerundete Form schließen zu lassen.«
    Die Katze zog voller Zufriedenheit ihre Zehen ein. Auf der Straße draußen war es sehr ruhig.
    Er setzte sein Gemurmel fort: »Warum sollte deine Herrin dich mit einem Gegenstand schmücken, den sie zu jeder Zeit dringend benötigt? Oder doch zu fast jeder Zeit. Was hat sie bewogen, dieses kleine Ding aus Silber und Seide um deinen Hals zu legen? War es die übermütige Laune eines Augenblicks – als du singend in ihr Zimmer liefst, um ihr einen Guten Morgen zu wünschen, bevor du deine ursprüngliche Wohlgeformtheit verloren hattest? Natürlich, und sie saß in die Kissen gelehnt, ihre aufgedrehten Haare fielen ihr wirr auf die Schulter, als du schnurrend aufs Bett sprangst: ›Guten Morgen, meine Dame.‹ Ach, es ist sehr gut zu verstehen«, gähnte er und ließ den Kopf gegen die Sessellehne sinken. Die Katze schnurrte immer noch und streckte ihre gepolsterten Krallen auf seinem Knie.
    »Soll ich dir etwas über sie erzählen, Katze? Sie ist wunderschön – deine Herrin«, murmelte er benommen, »und ihr Haar ist schwer wie glänzendes Gold. Ich könnte sie malen – nicht auf eine Leinwand – denn ich würde Schattierungen und Farbtöne brauchen, die glänzender als die Iris des glänzenden Regenbogens sein
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