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Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Mechtild Borrmann
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dem sechsten Antrag endlich die Ausreisegenehmigung für Ossip, Maria und die Kinder kam, weinte sie vor Glück.
    Ossip schrieb aus Deutschland, dass es alles zu kaufen gäbe, schwärmte von den sauberen Straßen und den Vorgärten der Deutschen. »Noch wohnen wir im Übergangswohnheim, aber ich habe gute Aussichten auf eine Arbeit und auf eine eigene Wohnung.« Er schrieb, dass er die Rückforderung der Geige an einen Anwalt gegeben habe, der sich mit dem Ministerium für Innere Angelegenheiten in Moskau in Verbindung gesetzt hatte.
    »Es wird nicht leicht werden, aber der Anwalt sieht gute Chancen«, schrieb er. »Man kann nachweisen, dass das Dosenetikett, auf dem Vater geschrieben hat, von 1946 bis 1950 in der Nähe von Workuta hergestellt wurde.« Und weiter: »Ihr werdet es nicht glauben, aber es gibt ein offizielles Verzeichnis aller bekannten Stradivari-Geigen, und in dieser Liste taucht auch Vaters Geige auf. Dort steht: Letzter bekannter Eigentümer Ilja Wassiljewitsch Grenko, die Geige gilt als vermisst. «
    Weiter schrieb er: »Der Anwalt sagt, es wird viel Zeit in Anspruch nehmen, also müssen wir geduldig sein, aber wir haben jetzt so viele Jahre warten müssen, da kommt es auf ein oder zwei weitere auch nicht an.«
    Ossip hatte dem Brief ein Foto beigelegt. Es zeigte die ganze Familie in einem Park, die Kinder mit einem Eis in der Hand. Maria hatte hinten auf das Bild geschrieben: Ossip füttert seine Spatzen.
    Galina küsste und herzte ihren ältesten Sohn Pawel und ihre Schwiegertochter Alja. Die Dinge würden sich nach all den Jahren zurechtrücken. »Geduld«, sagte sie und tätschelte Alja die Wange, »Geduld zahlt sich aus.«
    Als wenige Tage später Pawel vom Gerüst stürzte, haderte Galina mit ihrem Schicksal. Sie hatten eine Telefonnummer für Notfälle, unter der sie Ossip erreichen konnten, und Alja ging mehrmals zur Telefonzelle am Ortsausgang und versuchte, ihren Schwager zu erreichen. Ohne Erfolg.
    An dem Tag, an dem sie Pawel beerdigt hatten, kam nachmittags der Brief aus Deutschland.
    Er war nicht von Ossip, das sah Galina sofort. Er kam von einer Behörde. Sie konnten ihn nicht lesen. Galina wurde von einer nie gekannten Angst gepackt, die ihr den Atem nahm und sie schwindeln ließ. Marias Cousin konnte Deutsch. Er wohnte im Nachbardorf, und Alja fuhr mit dem Schreiben zu ihm. Während Galina wartete, konnte sie sich von den Nebeln in ihrem Kopf nicht befreien, war nicht in der Lage, klar zu denken. Als Alja nach zwei Stunden mit verweinten Augen und in Begleitung von Marias Cousin zurückkam, blieb sie ganz still sitzen. Es war Marias Cousin, der es aussprach. »Ein Unfall«, sagte er. »Ossip und Maria … beide tot.«
    Galina hielt sich mit ihren verkrüppelten Händen die Ohren zu, schlug den Oberkörper vor und zurück und schrie. Tagelang sprach sie kein Wort. Das Erste, was sie nach einer Woche sagte, war: »Meine Schuld. Das ist alles meine Schuld.«

Kapitel 35
    S ie hatten bereits einige Kilometer hinter sich gebracht, als Sascha in die Stille hinein sagte: »Ich habe sie gefunden.« Kyrill sah ihn herablassend an. »Ach ja? Das dachte ich mir. Sie wohnt da.«
    Sascha starrte zum Fenster hinaus und schwieg. Die Landschaft zog unbeachtet an ihm vorbei.
    Nur das Glas der Vitrine hatte ihn von der Geige getrennt, und er hatte das Haus ohne sie verlassen. Das Gefühl, versagt zu haben, machte sich breit, obwohl er nicht wusste, was er hätte anders machen können. Er dachte an die Zeile im Brief seines Großvaters: Es quält mich, dass ich es bin, der sie verloren geben soll.
    Leise sagte er: »Ich meine nicht Sonja Kopejewa. Die Geige. Ich habe die Geige gesehen.«
    Kyrill ging vom Gas. »Kopejew hat sie in seinem Haus? Sie meinen, er hat sie in seinem Haus und hat sie IHNEN gezeigt?«
    Sascha schüttelte den Kopf. »Nein, Kopejew war nicht da. Seine Frau. Seine Frau hat sie mir gezeigt.«
    Kyrill fuhr rechts heran, nahm sein Handy und stieg aus. Sascha sah zu, wie Kyrill telefonierend vor dem Wagen auf und ab ging. In Gedanken war er bei Sonja Kopejewa, ordnete ein, was er von ihr gehört hatte. Professor Meschenow! Welche Rolle hatte Meschenow wirklich gespielt?
    Kyrill stieg wieder in den Wagen und sagte: »Wir holen sie.«
    Sascha war für einen Moment sprachlos. Zuversicht machte sich in ihm breit, aber dann dachte er an seinen Rauswurf und sagte: »Ich glaube nicht, dass die uns noch einmal reinlassen. Ich habe wohl vergessen zu erwähnen, dass Sonja Kopejewa mich
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