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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Autoren: Jonathan Lethem
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Interstate 95 gefahren waren, Roses verträumter Enkel wahrscheinlich an Bord seines Flugzeugs, während seine sexy Sängerin, sein marxistisches Pixie Dream Girl, im Occupy-Lager von Portland ihr Programm abspulte, lag Cicero wach im Bett, das Licht im Zimmer beschränkte sich auf das des Flacharschmonds, der hinter dem Panoramafenster die Kiefern und das Wasser vergoldete, die Nacht war soweit abgekühlt, dass sich der Thermostat nicht einschalten musste und keine Klimaanlage das Ächzen und Rasseln seines untoten Atmens übertönte. Aus demselben Grund schwitzte Cicero aber unter der Decke, sagte sich, dass er nie einschlafen würde, erinnerte sich in der Fastdunkelheit nur zu gut an die Hölle des Morgens, als seine blutlos prickelnden Arme wie ein zweiter Körper unter ihm gelegen hatten, und hatte Angst davor, im Schlaf eine Vertrautheit mit Rose zu erlangen, der realen und ruhelosen Toten.
    Du sagst, was du weißt, und ich nicht.
    Er hatte aber auch nicht die Klappe aufgerissen und sich gegenüber ihrem Enkel erleichtert. Diese dämliche Tatsache war irgendwo in seinem Magen verklumpt, zum Geschwür eines unerwünschten Geheimnisses geworden.
    Hätte er es Sergius erzählt, hätte es kaum den Rang eines Geständnisses erreicht. Bloß die alberne Geschichte, wie das Leben des jungen Manns arrangiert worden war – schau mal, Junge, da ist die radioaktive Spinne, die dich gebissen hat.
    Aber Cicero hatte es verschwiegen, als steckte er immer noch im archaischen Griff der Aufforderung von Lieutenant Lookins: Sei still, sollen die sich doch selber hängen. »Lass die Kugeln in der Waffe.« Na, einmal hatte Cicero abgedrückt. Die Gelegenheit hatte ihn in Gestalt eines Hippiepärchens aufgesucht, das in Princeton eines Nachmittags im Juni 1979 an seiner Tür aufgekreuzt war, dem Sommer zwischen Ciceros Studienabschluss und seiner ersten Lehrtätigkeit, dem Scharnier zwischen seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart.
    Stella Kim hatte ihre Garderobe wahrscheinlich dezent für denAnlass gefunden, sagte sich Cicero; nur eine Halskette aus klobiger Glasschlacke und ein schwarzes Barett als Schmuck über einer roten Bluse, die Cicero ziemlich sicher schon an Miriam gesehen hatte. Na ja, es war natürlich nachvollziehbar, aus welcher Gedenkstrategie heraus Stella Kim Razzien in Miriams Kleiderschränken durchführte – die beiden Frauen hatten schon immer diese Persona- Kiste laufen gehabt. Was Harris Murphy anging, so hatte der sich als passable Armeleuteversion von Tommy Gogan hergerichtet, trug ein Jeans-Arbeitshemd und Tennisschuhe und hatte Haare, die dank dem Kamm und nicht einer Schere die Ohren freiließen, und einen Bart, der sich dämlicherweise nicht entscheiden konnte, ob er die Missbildung kaschieren oder betonen wollte – jedenfalls eine jämmerliche Angelegenheit.
    Harris Murphy und Stella Kim bestanden darauf, Cicero zum Kaffee oder Mittagessen auszuführen, bevor sie zur Sache kamen. Cicero zeigte ihnen ein Restaurant, wo sie sich seiner Meinung nach wohlfühlen und ein Sandwich mit Sprossen drin bestellen konnten, und als sie wissen wollten, was er bestelle, sagte er, er hätte keinen Hunger. Die beiden waren nervös wegen ihres Vorhabens, aber auch stolz, und sie hatten einen heterosexuellen Gestank an sich. Das ganze Rechtsmelodram war in einer unkommentiert bleibenden feuchtschwülen Begegnung eingehüllt, die für Cicero unverkennbar war. Stella Kim würde Murphy früher oder später abservieren, auch das war offensichtlich. Sie steckte ihn locker in die Tasche.
    Natürlich war es Stella, die Rose persönlich gekannt hatte, also übernahm sie das Reden und die Unterstellungen. Murphy hörte nur zu und betete sie an. Cicero begriff aber auch, dass Murphy der eigentliche Betreuer des Jungen werden würde, wenn sie die Sache durchzögen. Stella Kim konnte die ganze Geschichte egal sein, sie konnte sie so leicht vergessen wie Miriams Bluse. Sie zeigte Cicero ihre Beute, den Brief aus Nicaragua, Miriams Drohbrief mit der Wiederholung auf dem eierschalenblauen Luftpostumschlag.
    »Warum findet das Verfahren in Philly statt?«, fragte Cicero.
    »Niemand ist ganz sicher, in wessen Zuständigkeitsbereich es fällt.Aber Rose hat die Cops in Pennsylvania angerufen, vielleicht hatten die Cops in Queens ihr das empfohlen. Wahrscheinlich wollten sie sie einfach bloß loswerden.«
    Das konnte sich Cicero gut vorstellen. Schließlich hatte er das oft genug miterlebt. Rose, die mit einem verdatterten
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