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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Autoren: Jonathan Lethem
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Sergius weit weniger Zeit im Occupy-Lager von Philadelphia verbracht hatte, als er Lydia suggeriert hatte. Aber war nicht jedes bisschen Mitmachen per definitionem eine Qualifikation? Er stellte sich vor, ihr East Exeter zu zeigen, die Tankstellen und die Spielhalle, die keinerlei Ähnlichkeit mit einer öffentlichen Rasenfläche mitbrachte. Er konnte ihr Time Pilot beibringen und seinen alten Trick, für einen Vierteldollar anderthalb Stunden lang zu spielen. Wenn es das Spiel überhaupt noch gab, hatte er den Kniff garantiert schnell wieder raus. Nein, das war nichts. Er schwankte, merkte er, aber er schwankte vor Glück, auch wenn es kein Happy End gab. Vielleicht reichte es zu schwanken.
    »Sergius, was du da zu deinem Onkel gesagt hast, wegen den Zeltlagern und den Nichtsesshaften und so?«
    »Mein Onkel? Ach so, klar.«
    »Komm schon, schnapp dir deine Sachen.« Sie hängte sich Gitarre und Schlafsack um und zog ihn durch das geräuschlos aufgleitendeGlasportal in das nichtssagende Atrium des Terminals. »Nach allem, was ich gesagt habe, klingt das vielleicht schräg, aber die Zeltlager sind nicht wichtig.«
    »Nein?« Innerlich hatte er Mühe, sich nicht vom Winken der Angestellten an den Ticketschaltern ablenken zu lassen, den trüben Schildwachen seiner bevorstehenden Reise. Wenn man sich einem Flugzeug näherte, bereitete sich der Geist schon darauf vor, von der Planetenoberfläche abzuheben. Auf Flughäfen, selbst auf einer lausigen Kleinausgabe wie der hier, fühlte sich Sergius immer weggetreten, geschrumpft, absonderlich. Dabei konnte er seine kleine Reisetasche in die Gepäckablage über den Sitzen stopfen und brauchte sich keinem überflüssigen menschlichen Kontakt auszusetzen. Er musste nur den Automaten bedienen, ein Videospiel eigener Art, bis der eine Bordkarte ausspuckte. Aber noch nicht, bloß jetzt noch nicht, denn sobald er eine in der Hand hatte, musste er sich von ihr trennen. Als Zeitpilot traf man eben nie einen anderen, man reiste immer allein.
    »Ich meine, eine kleine Präsenz wie in Cumbow ist ja ganz schön, aber in den großen Lagern haben wir nach und nach gelernt, dass man nichts mehr organisiert, wenn man sich die ganze Zeit um Essen für die Nichtsesshaften kümmert. Da sind nämlich viele Nichtsesshafte, und ein paar von denen sind volle Kanne durchgeknallt.«
    Sergius wollte widersprechen. Bist du nicht auch eine Nichtsesshafte? Stattdessen sagte er: »Klar, ganz deiner Meinung.«
    »Mein Freund und ich waren letztes Jahr in Madrid und haben da bei den Protesten mitgemacht, den Indignados.«
    »Oh.«
    »Hast du wahrscheinlich nie von gehört.«
    »Nein.« Sein Anspruch dazuzugehören war einfach nur lächerlich. Jetzt zeigte sich, dass Occupy auch nur ein eigenes Vokabular war, ein okkulter Dialekt, dem in Ciceros Seminar nicht mal unähnlich. Und sie hatte einen Freund.
    »Ich klapper die letzten Zeltlager ab, bevor sie dichtgemacht werden,das ist eine historische Sache. Man muss das im größeren Zusammenhang sehen. Wir sind viral! Wo sind hier die Toiletten?«
    »Du hast einen Freund?«
    »Er ist in New York, wir wollen uns da treffen. Wir planen die nächste Aktion, was nach den Lagern kommt. Komm schon, da sind sie.« Sie zog ihn am Ärmel zu den Toiletten. Behängt mit Gitarrenkoffer, Schlafsack und Reisetasche, plagten sich die beiden wie eine Amöbe durch die hallende Ammoniakzone.
    »Dann bist du also in einer Zelle.«
    »Komm schon.« Bevor Sergius protestieren konnte, hatte sie ihn in die Damentoilette gezogen. Der Geruch war salzig, anders als bei den Männern, hatte eine ozeanische oder menstruelle Note. Sie stapelten ihre Sachen vor die Kabine – die letzte, groß genug für einen Rollstuhl und mit Chromgriffen an allen Wänden –, verriegelten die Tür, und sie fiel über ihn her. »Ich bin dran, Sergius.« Natürlich. Jede Frau wollte einen in sich haben. Sergius wurde sofort wieder hart. Als die abgeschnittene Jeans zu den Knöcheln hinuntergerutscht war und er ihre gestreifte Strumpfhose – mehr trug sie nicht an Unterwäsche – abgestreift hatte, roch er einen Hauch von Seife. Die Zeichen von Lydias Erregung, ihre feuchte Scham und die Leichtigkeit, mit der er in sie hineinglitt, reichten aus, um Sergius mitzureißen, und beide erschauerten, die Hände an die Behindertengriffe geklammert. Ihr Mund, der die Seetaucher und Regenpfeifer aus Ahornzucker vertilgt hatte, saugte an seinen Lippen und seiner Zunge; als sie kam, drückte sie das Kreuz durch,
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