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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Autoren: Jonathan Lethem
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Schuldirektor Tacheles redete, mit einem versoffenen Supermarkt-Manager, einer hilflosen Bibliothekarin oder auch dem Busfahrer. Jeder wollte Rose loswerden, und Polizisten ganz besonders.
    »Er ist ihr Enkel.«
    »Zwei Monate lang hat sie sich überhaupt nicht darum gekümmert, was aus ihm wird. Wir wollen nur das Beste für Sergius. Ich mein, echt jetzt.«
    »Und deshalb soll ich zu diesem Richter.«
    »Miriam ist fort. Niemand sonst kann sagen, was du sagen kannst.«
    Wo sie recht hatte, hatte sie recht.
    Zwei Wochen später konnte er der Tropfen werden, der das Fass zum Überlaufen brachte. Er machte sich beeindruckend fein und fand sich ein, wo er sich einfinden sollte, im holzgetäfelten, nach Pfeifenrauch stinkenden Büro eines alten Mannes, der mit dem ganzen Szenario anscheinend genauso unglücklich war wie Cicero. Mit Beginn der Anhörung spürte Cicero jedoch auch die ekelerregende monolithische Heuchelei einer Institution, die ihre Macht genau dadurch abstützte, dass jeder, der mit ihr zu tun bekam, im Selbsthass erstickte, während sie der eigenen krankhaften Neugier abschwor. Cicero saß da, wich dem Blick des Richters aus, isoliert in seiner Verärgerung, seiner Schwärze und seinem feinen Anzug.
    In diesem Raum konnte er nur Rose oder Miriam ehren, nicht beide. Falls es überhaupt jemanden zu ehren gab. Er sagte sich, dass wohl nichts dagegen sprach, sich für die Tote zu entscheiden.
    »Unter diesen beklagenswerten – ähem  – ungewöhnlichen – ähem ähem  – empfohlen, Sie um Einzelheiten – ähem  – nie ideal – absolute Diskretion – ähem  – Entscheidung obliegt mir allein – Sie allenfalls Aufschluss geben könnten – ähem  –«
    »Rose hat mir nie nix getan.« Er wusste nicht, ob es Respekt oder Trotz war, aber Cicero verfiel unwillkürlich in schwarzamerikanischen Dialekt.
    »Zu der Auffassung gelangt – ähem  –«
    »Könnse mich nich einfach fragen, wasse fragen wollen?«
    »– etwas, das sich um einen Küchenherd drehte?«
    »Aber hallo. Die Scheiße kann ich voll bestätigen. Hat ihr den Kopp voll in den Ofen gestoßen.«
    »– ähem  –«
    »Brauchense noch mehr wie das? Weil, ich muss dann mal.«

Lydia holte Sergius am helllichten Tag im Mietwagen einen runter, während er den Wagen durch das Vakuum der Städte oder des Verkehrs zwischen Augusta und Brunswick lenkte. Am Vorabend hatten sie sich geküsst, aber das war noch ganz züchtig gewesen, kaum mehr als eine idealistische Ausweitung seiner Entdeckung des Zeltlagers und ihres Gesangs. Und sie hatte tatsächlich die Gitarre um den Hals hängen, was für Abstand sorgte wie das Lineal einer Anstandsdame. Mit dem richtigen Knutschen hatten sie erst hinter Cumbow angefangen, an der letzten Raststätte vor der Interstate, wo sie noch mal eine Pinkelpause gemacht, Kaffee nachgetankt und eine Glassinpackung Ahornzuckerkram gekauft hatten, der die Formen vom Aussterben bedrohter Wasservögel hatte, Seeschwalben, Regenpfeifer und Seetaucher, und die sie noch auf dem Parkplatz lutschten – sie war ja so eine Naschkatze! Es war, als hätte er ein Pony, so wie sie die Zähne fletschte und ihm aus der Hand fraß! – und dann, die körnige Süße noch auf den Zungen, ging es im Wagen heiß her. Aber er musste sein Flugzeug bekommen, wo er den Flug doch schon einmal umgebucht hatte. Sie streichelte ihm den Oberschenkel unter der Jeans, während er einen Tunnelblick bekam und den Tempomat des Mietwagens auf 100 km / h einstellte. Sie hatten keine Musik, die Radiosender von Maine waren hoffnungslos, eine Wüste. Und dann streichelte sie ihm nicht mehr nur den Oberschenkel. Und dann öffnete sie ihm den Reißverschluss.
    »Holla.«
    Sie lachte. »Alles klar, Champ?«
    »Glaub schon.« Die vier Spuren frästen sich durch einen einsamen Waldtunnel, die Schilder warnten nur vor Elchwechseln und bei Stürmen überfluteten Brücken. Sergius ordnete sich auf der rechten Spur ein, einen knappen Kilometer hinter einem Sattelschlepper. Er brauchte eine Weile, bis sich sein Herzklopfen beruhigt hatte und er die Muskeln im Oberschenkel soweit entspannen konnte, dass sein Ständer blieb, und dann, die Zunge des süßen Ponys im Ohr, ihr Körper an seine Schulter gepresst, was ihm die Sicht durch den Rückspiegel versperrte, aber da war seit einer Viertelstunde eh kein Wagen mehr aufgetaucht, passierte alles auf einmal, aber er kurvte kaum aus der Spur, und wenn, hätte das keiner gemerkt. Elche wurden nicht verletzt.
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