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Der fuenfte Berg

Der fuenfte Berg

Titel: Der fuenfte Berg
Autoren: Coelho
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sah ihnen dabei zu und spürte eine unendliche Freude in seinem Herzen. Dann verließ er Akbar und machte sich auf ins Tal.
    Dort wanderte er ziellos und sprach die Gebete, die er als Kind gelernt hatte. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und von dort, wo er sich befand, sah er den riesigen Schatten des Fünften Bergs über einem Teil des Tales liegen. Er hatte eine furchtbare Vorahnung: Der Kampf zwischen dem Gott Israels und dem Gott der Phönizier würde sich noch über viele Generationen und viele Jahrhunderte hinziehen.
    Er erinnerte sich, wie er an dem Abend auf den Gipfel des Berges gestiegen war und mit dem Engel gesprochen hatte. Seit Akbars Zerstörung hatte er nie wieder die Stimmen gehört, die vom Himmel kamen.
    »Herr, heute ist Vergebungstag, und ich habe eine lange Liste von Sünden gegen Dich«, sagte er, indem er sich nach Jerusalem wandte. »Ich war schwach, weil ich meine eigene Kraft vergessen hatte. Ich war mitleidig, als ich hart sein mußte. Ich habe keine Wahl getroffen, weil ich mich vor falschen Entscheidungen fürchtete. Ich habe zu früh aufgegeben und habe Dich gelästert, als ich Dir hätte danken sollen.
    Dennoch, Herr, habe ich auch eine lange Liste Deiner Sünden mir gegenüber. Du hast mich über die Maßen leiden lassen, indem Du einen Menschen von dieser Welt nahmst, den ich liebte. Du hast die Stadt zerstört, die mich beherbergte, Du hast meine Suche vereitelt, mir mit Deiner Härte beinahe meine Liebe zu Dir ausgetrieben. Diese ganze Zeit habe ich mit Dir gekämpft, und Du nimmst die Würde meines Kampfes nicht an.
    Vergleichen wir die Liste meiner Sünden mit der Deiner Sünden, so wirst Du sehen, daß Du mir etwas schuldest. Doch, da heute der Vergebungstag ist, vergibst Du mir und ich vergebe Dir, damit wir gemeinsam unseren Weg fortsetzen können.«
    In diesem Augenblick blies der Wind, und er hörte seinen Engel sagen:
    »Du hast recht getan, Elia. Gott hat deinen Kampf angenommen.«
    Tränen rannen ihm aus den Augen. Er kniete nieder und küßte den ausgedörrten Boden des Tales.
    »Ich danke dir dafür, daß du gekommen bist, denn ich habe noch einen Zweifel: Ist es nicht Sünde, dies zu tun?«
    Da sagte der Engel:
    »Wenn ein Krieger mit seinem Ausbilder kämpft, ist dieser dann gekränkt?«
    »Nein. Es ist die einzige Möglichkeit, wie er sich die richtige Technik aneignen kann.«
    »Dann fahre fort, bis der Herr dich zurück nach Israel ruft«, sagte der Engel. »Erhebe dich und beweise weiterhin, daß dein Kampf einen Sinn hat, weil du die Strömung des Unabwendbaren zu durchqueren wußtest. Viele segeln mit der Strömung und erleiden Schiffbruch. Andere werden zu Orten mitgerissen, die ihnen nicht vorbestimmt waren. Doch du bestehst die Überfahrt voll Würde, wußtest den Kurs deines Schiffes zu kontrollieren und versuchst, den Schmerz in Handeln zu verwandeln.«
    »Schade, daß du blind bist«, sagte Elia. »Sonst könntest du sehen, wie die Waisen, die Witwen und die Alten es fertigbrachten, eine Stadt wieder aufzubauen. Kurz, alles wird so werden wie vorher.«
    »Ich hoffe nicht«, sagte der Engel. »Schließlich haben sie einen hohen Preis dafür bezahlt, daß sich ihr Leben änderte.«
    Elia lächelte. Der Engel hatte recht.
    »Ich hoffe, du verhältst dich so wie ein Mensch, dem eine zweite Chance gegeben wurde: Mach denselben Fehler nicht zweimal. Vergiß nie, wofür du lebst.«
    »Ich werde es nicht vergessen«, antwortete er zufrieden, weil der Engel zurückgekehrt war.
    Die Karawanen zogen nicht mehr durch das Tal. Die Assyrer hatten die Straßen zerstört und die Handelswege umgelenkt. Tagtäglich stiegen ein paar Kinder auf den einzigen Turm der Mauer, der der Zerstörung entgangen war. Sie sollten den Horizont überwachen, um die Rückkehr der feindlichen Krieger anzukündigen. Elia hatte vor, sie würdig zu empfangen und ihnen die Herrschaft zu übergeben.
    Dann könnte er aufbrechen.
    Doch mit jedem Tag, der verging, wurde Akbar mehr ein Teil seines Lebens. Vielleicht war seine Mission ja gar nicht, Isebel vom Thron zu stoßen, sondern hier mit diesen Menschen bis zu seinem Lebensende zu verweilen und demütig die Rolle eines Dieners des assyrischen Eroberers zu spielen. Er würde helfen, die Handelswege wieder zu eröffnen, er würde die Sprache des Feindes lernen, und in seiner freien Zeit könnte er sich um die stetig wachsende Bibliothek kümmern.
    Was in jener Nacht in längst versunkener Zeit das Ende einer Stadt bedeutet hatte, bedeutete
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