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Der fremde Tote

Der fremde Tote

Titel: Der fremde Tote
Autoren: Agnes Jäggi
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zusammen, dann zerbrach die Beziehung. Der Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm hatte nicht recht geklappt, was ihre Karriere fast beendet hatte. Und 1939 starb Douglas bereits, aber damals waren die beiden schon einige Jahre geschieden. Mary sagte mir, dass sie ihren Douglas ihr Leben lang geliebt habe, dass sie jetzt allerdings die besten Freunde seien.“ Die Diva löffelte ihre Spargelsuppe und fuhr träumerisch fort: „Sie sah so jung aus, so schön. Ich war wirklich versucht, ihr auf der Stelle zu folgen. Es muss schön sein dort, wo sie und die anderen jetzt leben. Ich werde an jenem Ort bestimmt auch alte Freunde wieder treffen.“ Korbi wurde schlagartig wach. „Meinst du nicht, du hast das alles geträumt?“, fragte er behutsam, dann eindringlicher: „Was soll ich denn ohne dich anfangen, Elsie? Du bedeutest mir so viel!“ – „Ach, das ist überhaupt kein Problem“, plapperte Elsie wie ein kleines Mädchen weiter, „natürlich werde ich dich besuchen, so oft es geht. Ich bin immer da, wenn du mich brauchst. Und stell dir vor, was Mary Pickford noch gesagt hat: ‚Dein Korbi-Darling wird sein Kulturhaus in diesem kleinen Nest bekommen.’ Keine Ahnung, was sie damit gemeint hat, aber wenn sie es sagt, dann wird es schon stimmen.“ Korbi stockte der Atem, Elsie schien es nicht zu bemerken. Er hatte niemandem von der alten Fabrik in Ernheim erzählt. Nur Amanda wusste davon. „Ich muss mal eben auf die Toilette“, murmelte Korbi. Elsie kicherte: „Eigentlich müsste ich als Dame das ja sagen, auf ein stilles Örtchen, mir die Nase pudern.“ Korbi war so erschüttert, dass er sich eine Weile an die kühle Wand in der Toilette lehnen musste. Dann holte er sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer.
    „Nein, ich habe Elsie ganz bestimmt nichts von der Fabrik erzählt“, versicherte ich dem aufgeregten Korbi am Telefon. „Dann wäre mir vielleicht auch die Geschichte mit den Toten rausgerutscht. Es wäre zu riskant gewesen.“ Es schien, als ob Elsie Anderson tatsächlich von Mary Pickford besucht worden war.
    In einem kleinen Kino am Bellevue sahen sich die Diva und Korbi nach dem Nachtessen einen Film an. Der erste gemeinsame Film von Mary Pickford und Douglas Fairbanks. ’Der Widerspenstigen Zähmung’ von William Shakespeare. Der Film war damals ein Flop, wahrscheinlich weil sie zum ersten Mal einen Tonfilm drehten. Das mochte das Publikum zu jener Zeit noch nicht besonders. „Aber er ist trotzdem schön, meinst du nicht?“ Korbi drückte seine Diva an sich: „Wundervoll!“

Das Leben ist schön
     

    Nun, die Diva starb noch eine ganze Weile nicht. Aber sie lebte frohgemut, in dem Wissen, dass auch das Leben danach viele Überraschungen zu bieten hatte. So feierte sie ebenso mit erstaunlicher Vitalität ihren Achtzigsten, wozu einige ehemalige Filmpartner aus der ganzen Welt angereist kamen sowie Freunde und Verwandte aus ihrer ehemaligen Heimat Schweden. Korbi erwarb die alte Fabrik in Ernheim und baute sie in drei Jahren zu einem Kulturhaus um gegen den anfangs erbitterten Widerstand der Ernheimer Bevölkerung. Doch die Geschäftstüchtigen unter ihnen und vor allem die Jugend erkannten bald die Chance, die sich dem abgelegenen Dorf mit dem Kulturzentrum bot. Während Ernheim weitgehend unbehelligt blieb, strömten übers Wochenende Scharen von Kulturhungrigen in Korbis Theater ausserhalb des Dorfes. Neben Konzerten nationaler und internationaler Stars fanden hier auch Theateraufführungen sowie Kinoabende statt. Die Diva stand noch immer auf der Bühne, Korbi lernte endlich seine grosse Liebe kennen, und gemeinsam besuchten wir weiterhin unsere Bekannten auf dem Ernheimer Friedhof.

    Mit Raoul, meiner Liebe aus der Kinderzeit, treffe ich mich jetzt öfters. Er schwärmt von seinen Reisen ins Land der Navajos in den USA. Er ist glücklich, so wie er es im Leben wohl nie gewesen war. Sein wundervolles schwarzblaues Haar fällt ihm jetzt glatt und seidig weich bis weit über die Schultern. Ich erzählte Raoul von einem Film, ’Sunchaser’, in dem ein junger krimineller Navajo-Indianer sterbenskrank aus dem Gefängnis flieht und seinen versnobten Arzt als Geisel mitnimmt. Der Arzt erhält auf der Reise die Gelegenheit, sein schweres Trauma aus Kinderzeiten aufzuarbeiten: Er hatte als Kind die lebenserhaltenden Maschinen auf Wunsch seines älteren Bruders abgestellt, der todkrank im Krankenhaus lag. Das Ziel des jungen Indianers ist es, auf dem heiligen Berg der Navajos seinen
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