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Der fremde Tote

Der fremde Tote

Titel: Der fremde Tote
Autoren: Agnes Jäggi
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Bei alten oder erschöpften Leuten kann das vorkommen.“ Nikolaus verhielt sich ganz still. Dann verliess er den Raum. Der Kellner konnte die alte Dame beruhigen und brachte ihr einen Cognac zur Stärkung.

    „Ha, das war knapp!“, bemerkte Nikolaus später, als wir zum nächsten Taxistand schlenderten. Wir spekulierten eine Weile darüber, ob die alte Dame ein Medium war oder ob sie selber nahe vor dem Tod stand und somit äusserst feinfühlig auf paranormale Situationen reagierte. Nikolaus gab Korbi die nötigen Anweisungen für den Taxifahrer, während wir beide hinten einstiegen. Der Chauffeur kannte sich aus und brachte uns in ein Quartier nahe am Fluss.
    Kurz darauf betraten wir ein gediegenes Etablissement namens ’Victoria’, eine Mischung aus Jazz-Bar und Tanzlokal. Nikolaus klärte uns darüber auf, dass hier vor allem edle Nutten arbeiteten. Offiziell war dies jedoch nicht bekannt. Er zeigte Korbi ein paar der Mädchen. Sie waren jung und sehr schön, ausserdem geschmackvoll und sexy gekleidet. Auf Anweisung unseres Paten setzten Korbi und ich uns zunächst an die Bar, wo wir bald einen kleinen Streit vom Zaun brachen. Schliesslich musste Korbi entnervt vom Hocker gleiten und in Richtung Toilette eilen. Ich begann verärgert an meinem teuren Halsschmuck herumzunesteln und bestellte einen weiteren Gin Tonic.
    „Aber meine Dame, hat der kleine Gigolo sie verärgert?“ Der geschniegelte Typ mit der charmanten Stimme musterte mich besorgt, schielte dabei jedoch ein bisschen zu auffällig nach meinem Schmuck.
    „Er sollte mich amüsieren, stattdessen gafft er dauernd diesen jungen, halbnackten Dingern nach. Ich weiss wirklich nicht, warum ich ihn mir halte und ihn mit Geld stopfe wie eine Weihnachtsgans“, erwiderte ich und hoffte, dass meine Stimme wie eine gelungene Mischung aus Weinerlichkeit und Verärgerung klang. Während der Dressman mit dem kantigen Gesicht und den blondierten Haaren tröstend auf mich einsprach, schielte ich über seine Schulter und sah befriedigt zu, wie Korbi mit einem der Mädchen durch eine Tür verschwand, welches laut des Paten Informationen zu Hanno Herzigs ’Stall’ gehört haben soll.
    Jetzt kam ich langsam in Fahrt mit meiner Rolle. Ich seufzte affektiert, öffnete mein Täschchen, entnahm meinem mit Perlmutt eingefassten Etui eine Zigarette, wobei ich darauf achtete, dass das Blondchen an meiner Seite einen Blick auf die Geldscheine werfen konnte. Er gab mir Feuer, und ich verlangte einen neuen Drink, welcher mir umgehend spendiert wurde.
    „Vor ein paar Jahren war ich hier, erst mit Georg, dann mit Hanno“, flüsterte ich wie abwesend, „die wussten wie man eine Dame behandelte, nicht so wie diese Niete.“
    Der Kerl neben mir erstarrte, aber nur kurz.
    Ich schwieg eine Weile und blickte ihn dann schmachtend an. „Und Sie, wissen Sie auch, was eine Frau will? Kennen Sie die innersten Geheimnisse meines Geschlechts?“ Ich war äusserst erstaunt über den Schwachsinn, den ich da von mir gab, doch es funktionierte.
    „Ich werde Ihnen eine zauberhafte Nacht bereiten, meine Liebe“, flötete er, „wenn Sie mich nur lassen.“ Sein Handy klingelte, und er entschuldigte sich kurz.
    Ich nutzte die Zeit, um mich mit Nikolaus zu beraten, der die ganze Zeit über neben mir gestanden hatte. „Ich glaube, Korbi kommt ganz gut allein zurecht. Er wird das Mädchen bearbeiten. Dieses hat Hanno gern gemocht. Aber dich lasse ich nicht allein mit diesem Herrn da. Das ist Erwin, ein Zuhälter und Gauner der groben Sorte. Kipp jetzt schnell den Drink weg, bevor er wieder auftaucht, er hat dir nämlich was Kleines reinfallen lassen.“
    Ich tat wie geheissen, und als Erwin wieder neben mir stand, spielte ich die unter Drogen gesetzte kokette Verführerin. Das machte Spass. Ich umarmte den Typen und drückte ihm einen nassen, schmatzenden Kuss auf die Lippen.
    Dem musste ganz übel davon werden, doch er blieb galant. „Lass uns gehen, hier sind zu viele Leute“, lockte er.
    „Aber Manou“, jammerte ich, „ich kann den Süssen doch nicht einfach sitzen lassen.“
    „Der hat es nicht anders verdient, und ausserdem hat er bestimmt seinen Spass, mach ihm nicht die Freude, ihm hinterher zu rennen.“ Er bestellte telefonisch ein Taxi, und so glitten wir durch die dunkle Nacht – Erwin und ich auf dem Rücksitz, der unsichtbare Nikolaus vorne neben dem Fahrer. Ich wusste nicht, wohin wir fuhren, nur, dass wir längst nicht mehr in der Stadt waren.
    Schliesslich hielt der
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