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Der Fluch vom Valle della Luna

Der Fluch vom Valle della Luna

Titel: Der Fluch vom Valle della Luna
Autoren: Rosa Cerrato
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halben Stunde im Caffè degli Specchi «
    »Super. Bis gleich.«
    Nelly runzelte die Stirn. Sie hatte ihre Freundin Sandra, die Journalistin bei der lokalen Tageszeitung »Il Secolo XIX« war, seit ein paar Wochen nicht gesehen. Seit vor Weihnachten nicht, um genau zu sein. Und auch da hatten sie sich, wie so oft, nur flüchtig in einer Bar getroffen, sich frohe Weihnachten gewünscht, Geschenke ausgetauscht und waren weitergehetzt. Sie seufzte. Man bräuchte mehrere Leben, eins ist einfach zu wenig. Eines zum Arbeiten, eines für die Familie, eines für die Freunde und eines für die Liebe ...
    Sie betrachtete den Schreibtisch, der ausnahmsweise nicht komplett mit Akten zugestapelt war. Seit ein paar Tagen herrschte Flaute, was in ihrem Job ein Segen war. Schon der normale Bürokram war ätzend genug, wenn man bei der Mordkommission arbeitete. Nicht gerade der rosigste Blickwinkel auf das Leben. Entschlossen klappte sie die Akte zu, an der sie gerade saß. Ein Drogendealer, den man tot in seiner Wohnung in der Altstadt aufgefunden hatte. Der Mörder war ein Junge aus »gutem Hause«, noch minderjährig. Sie beschloss, Feierabend zu machen. Rasch fuhr sie sich mit dem Kamm durchs Haar, glosste sich die Lippen, nahm den schwarzen Parka vom Haken, schlüpfte hinein, schnappte ihre Tasche – einen geradezu riesenhaften Beutel – und spürte wieder dieses Verlangen in sich aufsteigen, ihrem Alltag zu entfliehen, das sie sonst so gar nicht kannte.
    »Valeria, ich bin weg. Wenn’s was gibt, ruf mich an.«
    Die Polizeisekretärin sah von ihrem Computer auf und warf ihr ein herzliches Lächeln zu, das von der männlichen Fauna, die sie nicht näher kannte, stets als Schlafzimmerlächeln interpretiert wurde. Im Sommer hatte sie sich das hellbraune Haar raspelkurz geschnitten und ließ es jetzt wieder wachsen. Selbst zu dieser Jahres- und Tageszeit sah sie frisch und ausgeruht aus. Dass es um fünf bereits dunkel war, schien ihrer guten Laune keinen Abbruch zu tun. Valeria nickte und bemerkte die Spannung in Commissario Rossos breitem, von Sommersprossen überhauchtem Gesicht. Das lockige, kupferrote Haar fiel ihr wie immer wirr in die Stirn und auf die Schultern. In den letzten Monaten hatte Nelly abgenommen, seit dem Sommer, in dem der Fall Simba, eine beispiellose Mordserie, die Stadt erschüttert hatte. Im Herbst dann das Abenteuer mit der Interpol, das ebenfalls seine Spuren hinterlassen hatte. Ihre Figur hatte davon profitiert, die Kommissarin hatte mindestens acht Kilo verloren und sah blendend aus. Lediglich ein paar Falten mehr verrieten den Stress, von dem sie sich noch nicht vollends erholt hatte.
    »Gehen Sie ruhig, Dottoressa, hier ist alles unter Kontrolle.«
    Nelly trabte die Treppe hinunter, grüßte ein paar Kollegen und trat in die kalte Abendluft hinaus, die die Feuchtigkeit noch frostiger erscheinen ließ. Sie setzte die mit falschem Pelz gesäumte Kapuze auf und lächelte in Vorfreude auf ihr Treffen mit Sandra. Wozu wohl die Eile? Gab’s was Besonderes? Hastig durchquerte sie den Tunnel, der ins Zentrum führte, und reduzierte das Atmen aufs Nötigste, um möglichst wenig Abgase in die Lunge zu kriegen. Sie bewegte sich geschmeidig und fühlte sich jünger und begehrenswerter. Ja. Genau: Ein schöner Südseestrand, Sonne, ein neuer Bikini und ...
    Sie kam bei den Wolkenkratzern heraus, die sich im Vergleich zu ihren Namensvettern in New York, Dubai oder Shanghai geradezu lächerlich ausnahmen, aber ihre Bezeichnung nun einmal weghatten, und ging in Richtung »Haus des Kolumbus«, bei dem es ebenfalls fragwürdig war, ob es diesen Titel verdiente, das als Touristenmagnet jedoch bestens funktionierte. Sie stieg zur Barbarossa-Mauer hinauf, ging rechts Richtung Piazza Matteotti und bog fast im Laufschritt – seit einiger Zeit war ihr hier ein normales Tempo nicht mehr möglich, jedes Mal hatte sie das Gefühl, jemand oder etwas verfolge sie – nach links in die Salita Pollaiuoli ein.
    Das Caffè degli Specchi machte seinem Namen alle Ehre. Die Wände waren mit Spiegeln vertäfelt, die rokokohafte Einrichtung war elegant und schnörkelig zugleich, wie man es vielleicht in Venedig oder Rom erwartet hätte. In Genua hingegen wirkte es stets erfreulich deplatziert, und beim Betreten hatte Nelly jedes Mal das Gefühl, in außerterritoriales Gebiet einzudringen. Unligurisch. Unernst. Extravagant. Wie auch immer. Einbildung, Spinnerei. Sandra saß weder im vorderen Teil des Lokals, der fast vollständig vom
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