Der Fluch des Blutes
Gefährte und -«
Und?
»- der Vater meiner Kinder .«
Kinder? Du bist Mutter?
»Ja ... n-nein ... ICH WEISS ES NICHT!«
Ihr eigener Schrei hallte hinter Liliths Stirn wider; machtvoll wie Donner füllte er die Leere dort mit Wissen. Mit einemmal wußte Lilith alles, was geschehen war. Wußte, was sich oben auf der Tempelpyramide ereignet hatte, entsann sich ihres Versuchs, Chiquel beizustehen - und sie erinnerte sich des Kampfes mit Landru. Nur an den Kampf jedoch - nicht an dessen Ende. Weil vorher - Irgend etwas war geschehen. Hatte ihre Wahrnehmung ausgelöscht. Als - - sie Landru getötet hatte?
»Nein ...«
Der Laut klang kläglich, und er kroch Lilith kraftlos über die Lippen. Sie hatte Landru nicht töten wollen, gleich, was er getan hatte. Sie konnte niemanden töten! Und doch - Die Bilder des Kampfes standen ihr in geradezu grausamer Deutlichkeit vor Augen. Und obwohl Lilith sich selbst darin sah, konnte sie nicht glauben, daß dies alles tatsächlich geschehen war.
Sie war weder Mörderin noch Bestie!
(Wieder dieses tonlose, hämische Flüstern von nirgendwoher: Ach? Wie willst du das wissen? Nichts weißt du, gar nichts - über dich!)
Lilith ignorierte es - oder versuchte es wenigstens - und führte den eigenen Gedanken fort: Was war nur in sie gefahren, das sie zu solcher Raserei getrieben und in einen Blutrausch gestürzt hatte?
Was immer es gewesen war - es war fort, verschwunden. Ausgelöscht. Weggebrannt?
Langsam, als hätte sie an ihrem eigenen Gewicht zu schwer zu tragen, richtete Lilith sich auf dem Bett in eine sitzende Position auf. So verharrte sie dann, zum einen, um Kraft zu sammeln für weitere Anstrengungen, zum anderen, weil sie nachdenken wollte. Darüber, was nun zu tun sei.
Einem ersten Gedanken folgend wollte sie nach Landru suchen. Diese Idee aber verwarf sie gleich wieder. Es schien ihr wenig ratsam, Landru gerade jetzt gegenüberzutreten. Sicher war er nicht sonderlich gut auf sie zu sprechen, und außerdem - Lilith fuhr sich mit der Hand massierend über die Kehle, ohne das inwendige Kratzen und Brennen dadurch vertreiben zu können. Im Gegenteil schien es mit jeder Sekunde noch zuzunehmen.
Was immer da in ihr gewütet hatte, es hatte nicht nur dieses erschreckende Etwas aus ihr getilgt, sondern zugleich ein anderes Et-was in ihr geweckt. Eines, das Lilith kaum minder beunruhigte, wenn auch auf andere Weise.
Ein Brand fraß noch immer in ihr. Ein ganz besonderer.
Durst!
Lilith wußte, wie sie ihn stillen konnte. Und wo.
Wie zufällig fiel ihr Blick aus einem der Fenster. Mauerwerk schimmerte draußen durch kraftloses Grün, und wenn sie angestrengt lauschte, konnte Lilith die Laute des Lebens dort vernehmen. Die Stimmen der Menschen, die zu einem Leben in Mayab verdammt waren.
Lilith ging, wenn auch wehen Herzens, um Mayab aufzusuchen.
Und die Menschen dort.
*
Mit zwei Fingern seiner rechten Hand strich Bonampak den Rest der zinnoberroten Paste aus dem Tonschälchen. Dann wandte er sich wieder seiner Frau Selva zu, die neben ihm auf der schlichten Lagerstatt ruhte. Ihr nackter Bauch wölbte sich auf wie ein kleiner Hügel, in dem just in dem Moment etwas zu rumoren begann, als Bonam-pak die Farbe auf die Haut auftrug und das kunstvolle Bild aus Linien, Glyphen und stilisierten Figuren vollendete. Nur an ganz wenigen Stellen schimmerte noch der Gilbton durch, den die Haut aller Einwohner Mayabs von Natur aus zeigte.
Vorsichtig, um die Zeichnungen nicht zu verwischen, strich Bon-ampak dann mit der flachen Hand über die Rundung, und was sich darunter bewegte, reagierte auf die Berührung, als nähme es auf diesem Wege schon Kontakt zur Welt draußen auf, noch es ihr trübes Licht zum ersten Mal erblickte.
»Es ist bald soweit«, sagte Selva leise. Ihr Lächeln hauchte ihrer Gesichtszeichnung flüchtiges Leben ein.
»Bald?« entgegnete Bonampak. »Wie bald?«
Selva lächelte wieder, schmerzlicher diesmal und traurig. Wie jede Frau Mayabs lächelte, wenn neues Leben bereit war, ihrem Schoß zu entschlüpfen.
»Heute noch.«
Und als hätte es nur dieses Stichwortes bedurft, verzog Selva das Gesicht in plötzlichem Schmerz, weil ihr Leib wie von Krämpfen gepackt wurde. Sekunden verstrichen, dann verging die Wehe, und Selva entspannte sich. Feine Schweißperlen waren ihr auf die Stirn getreten und wuschen nun als Rinnsale blasse Spuren in ihre Ge-sichtsbemalung.
Bonampak erhob sich und trat ans Fenster der Hütte. Einmal mehr verfluchte er sich dafür, daß
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