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Der Fluch der Druidin

Der Fluch der Druidin

Titel: Der Fluch der Druidin
Autoren: Birgit Jaeckel
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Talia, während sie den Tag damit verbrachte, zusammen mit der Magd neue Sommerkleider für die Kinder zu nähen. Die ersten Jahre waren schwierig gewesen, aber sie hatten es geschafft. Als Atharic und der Rest seines kleinen Stammes, der sich einst den Kimbern angeschlossen hatte, nach Jahren der Wanderschaft wieder in den Norden zurückgekehrt waren, waren sie bei jenen, die damals zurückgeblieben waren, auf Misstrauen gestoßen. Es hatte kaum einen Hof gegeben, der nicht von den durchziehenden Kimbern geplündert worden war, kaum eine Familie, die in dem darauf folgenden harten Winter nicht mindestens ein Kind zu beklagen gehabt hatte. Viele von ihnen betrachteten die Rückkehrer als Kimbern und nicht mehr als Mitglied des losen Stammesverbands, zu dem sie selbst gehörten und von dem das Rabenvolk einst ein Teil gewesen war. Es war zu Auseinandersetzungen gekommen mit jenen, die vergessen zu haben schienen, dass ihre Stämme früher, bevor die Kimbern auf ihrem Zug in ihr Land eingefallen waren, Seite an Seite gelebt hatten. Außerdem waren die meisten, die zurückkehrten, Frauen und Kinder. Wer sollte sie ernähren? Wer sie beschützen? Ziellos waren sie zwischen den großen Flüssen umhergezogen, von einem Gebiet zum nächsten auf der Suche nach Platz für ihre Höfe und Felder. Einige Rückkehrer hatten gar versucht, sich Land, Vieh und Saatgut mit Gewalt zu nehmen. Blut war geflossen, dessen Schuld Atharic mit dem Gold, das Caran Talia mit auf den Weg gegeben hatte, beglich. Die klügeren Sippenhäupter begriffen daraufhin, dass hier jemand Handelsbeziehungen mit den Kelten aufrechterhielt, und so wurde der klägliche Rest des Rabenvolks als Nachbarn plötzlich interessant. Gleichzeitig hatte Atharic seinen Kriegern befohlen, ihre Waffen in einer symbolischen Zeremonie den ortsansässigen Priesterinnen zu übergeben. Die Männer, die jahrelang unter ihm als Söldner gedient hatten, waren seinem Befehl auch diesmal gefolgt, und am Ende des nächsten Jahres hatte tatsächlich jede Familie ein Stück Land ihr Eigen nennen können. Seitdem suchten viele Menschen aus der Umgebung Atharics Schiedsspruch in Streitfällen; andere baten ihn, sie wieder in die Schlacht zu führen, doch Letzteres lehnte er immer ab.
    »Ihr könnt mich gerne um Rat fragen, aber eure Kämpfe sind nicht die meinen«, pflegte er zu sagen. »Ich habe meine ausgefochten, und es hat mir wenig gebracht. Junge Wölfe mögen den Kampf suchen, alte Wölfe dagegen warten und hoffen, dass er sie nicht findet.« Nichtsdestotrotz unterrichtete er die Jungen von Zeit zu Zeit im Zweikampf und verlangte auch von Hari, dass er an seinen fast täglichen Waffenübungen teilnahm.
    Von ihrem Platz an der Hauswand aus, wo sie in der Frühlingssonne die Naht von Haris Hosen auftrennte, um sie später zu verlängern, konnte Talia Atharic beobachten, wie er einen der Weidezäune ausbesserte. Dann und wann unterbrach er seine Arbeit, streckte sich, fischte sich eines der Jungpferde vom letzten Jahr heraus und begann, das Pferd von oben bis unten zu untersuchen: die Zähne, die Ohren, den Widerrist mit dem kräftigen Fell, die kurzen, aber starken Beine mit den breiten Hufen. Atharics Haare waren den Winter über dunkler geworden, doch sobald die Sonne an Kraft gewann, würden sie aufhellen, bis sie die Farbe reifer Gerste annahmen. Noch zeigte sich kein Grau in ihnen, und obwohl sein Körper sich weicher anfühlte als früher und sein Bauch weniger flach war, hatte er an Geschicklichkeit kaum eingebüßt. Einzig kleinere Verletzungen und Zerrungen brauchten länger als einst, um zu verheilen. An Markt- und Feiertagen und an Festen, wenn die Bewohner der umliegenden Weiler zusammenkamen, wusste Talia immer, wo sie ihren Mann finden konnte: umgeben von ehemaligen Kampfgefährten und deren Ehefrauen, unter denen die älteren Atharic mit resignierter Melancholie beobachteten. Talia gegenüber blieben sie reserviert, obwohl stets freundlich. Sie schienen sich durchaus zu bemühen, Talia nicht spüren zu lassen, dass sie eine Fremde war, und das rechnete Talia ihnen hoch an. Zwar beherrschte Talia Atharics Muttersprache mittlerweile fließend, doch ihr Akzent und ihre seltsamen Augen waren ein Fremdkörper in dieser eng geschmiedeten Gemeinschaft, in der ansonsten beinahe jeder jeden seit seiner Geburt kannte. Alle wussten, dass sie eine Heilerin war und dass sie die Gabe hatte, die Seelen der Menschen zu sehen. Anders jedoch als die Kelten lehrte das Nordvolk nicht
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