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Der Fluch der Druidin

Der Fluch der Druidin

Titel: Der Fluch der Druidin
Autoren: Birgit Jaeckel
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auseinander. Sie roch nasse Wolle, Moder und Schaf. War sie in einem alten Stall?
    Das Kinderlachen entfernte sich. Sie versuchte, in die Hand zu beißen, die sie am Schreien hinderte. Ein Knie bohrte sich in ihren Magen, übte Druck aus. Bei jeder Bewegung spürte sie mehr von dem Gewicht des Mannes, der sie gefangen hielt. Sie spannte ihren Bauch an, dann konzentrierte sie sich darauf, still liegen zu bleiben, scheinbar aufzugeben. Der Druck auf ihrem Magen ließ nach. Als der Mann sein Gewicht von ihr nahm, zog sie mit einem Ruck die Beine an. Ihre Knie schnellten vor, zielten auf seinen Kopf. Sein linker Arm blockte sie ab, doch dabei lockerte sich sein Griff um den Knebel, der schon halb in ihrem Mund war.
    Sie schrie.
    Sein Schlag schleuderte sie abermals in die Dunkelheit.
     
    Als Sumelis das nächste Mal erwachte, drang Sonnenlicht an ihre Augen. Was sie weckte, waren Hände auf ihrem Gesicht, die sie prüfend untersuchten. Sie zuckte zusammen, als die Finger eine wunde Stelle an ihrer Schläfe berührten, obwohl die Berührung nicht brutal war, lediglich forschend.
    »Du kannst die Augen ganz öffnen. Ich weiß, dass du wach bist. Und hier kannst du auch schreien, so viel wie du willst. Niemand wird dich hören.«
    Die Stimme war klar und emotionslos. Sie sprach helvetisch – mit einem vertrauten rauhen Akzent. Sumelis, die die ersten sieben Jahre ihres Lebens bei den Helvetiern, einem Nachbarstamm der Vindeliker, gelebt hatte, hatte keinerlei Mühe, sie zu verstehen. Dennoch weigerte sie sich, der Aufforderung nachzukommen.
    Denk nach!
    Sie wusste, ihr Entführer saß dicht neben ihr. Sie hörte ein metallisches Scharren, beinahe schon ein Kreischen, das in den Ohren weh tat; wahrscheinlich schärfte er gerade sein Schwert oder eine andere Waffe. Vögel zwitscherten, und ein kühler Wind strich ihren Hals entlang, raschelte in den Blättern der Bäume. Sumelis schloss daraus, dass sie im Freien lag, unter einem Unterstand, umgeben von Laubwald. Vorsichtig weitete sie ihre Wahrnehmung aus.
    Nichts.
    Niemand.
    Keine einzige Seele in ihrer Umgebung. Da war kein Licht, das auf das suchende Tasten ihrer eigenen Seele reagierte, keine blauen Flammen, die ihr grüßend entgegenzüngelten. Sie und der Mann, der sie entführt hatte, waren allein.
    Es dauerte einen Moment, bis der Widerspruch in ihr Bewusstsein drang.
    Sie hatte überhaupt keine Seele gesehen.
    Oder?
    Sumelis setzte sich so abrupt auf, dass ihr schwindelig wurde. Ihr Schädel protestierte und jagte Übelkeit ihren Magen hinauf, bis sie würgen musste. Krampfhaft schluckte sie den Brechreiz hinunter und bohrte die Nägel in ihre Handflächen, um sich abzulenken. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie noch immer gefesselt war.
    Der Mann, der gegen einen Baumstamm gelehnt vor ihr saß, war einige Jahre älter als sie. Seine Haare waren ungewöhnlich kurz, nicht einmal so lang wie die Dicke ihres kleinen Fingers, ihre Farbe daher nicht wirklich feststellbar. Eine schmale Narbe teilte eine seiner Augenbrauen und zog sich schräg über die Schläfe hin zum Haaransatz. Sie verlieh seinem Gesicht einen harten Ausdruck, der ansonsten, trotz der scharf geschnittenen Züge und des kantigen Kinns, nicht unbedingt zu sehen gewesen wäre. Sein glattes Gesicht ließ vermuten, dass er sich die Barthaare auszupfte, was ihn jünger erscheinen ließ. Sein breiter Mund hätte sinnlich genannt werden können, wenn ein echtes Lächeln ihn gekräuselt hätte und nicht diese Mischung aus leisem Spott und verstörender Selbstsicherheit. Sumelis’ Entführer trug schwarze Hosen, ein langärmliges dunkelgrünes Hemd von guter Qualität, das unter einem weiteren dunklen, mit Leder verstärkten Oberteil hervorschaute. Der schwere schwarze Umhang, den er getragen hatte, als er Sumelis angegriffen hatte, lag säuberlich zusammengerollt neben ihm, ebenso seine Waffen. Er wirkte entspannt, beinahe belustigt, während er zusah, wie Sumelis an ihren Fesseln zerrte. Doch Sumelis nahm gar nicht bewusst wahr, was ihre Hände taten. Sie hatte nicht beabsichtigt, die Stärke ihrer Fesseln zu prüfen. Sie war lediglich der unwillkürlichen Regung gefolgt, den Mann vor ihr zu berühren, sich zu vergewissern, dass das, was sie sah, wirklich war. Was sie
nicht
sah.
    Wieso konnte sie seine Seele nicht sehen?
    Der Schlag auf den Kopf,
dachte sie verstört.
Vielleicht ist es das? Die Kopfschmerzen …
    Etwas Ähnliches war ihr noch nie passiert. Es war, als wäre sie plötzlich im Inneren
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