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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe
Autoren: Nicci French
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Verbindung zu setzen«, sagte ich. »Hinterher.«
    »Wirklich? Wenn ich das gewusst hätte! Aber ich konnte nicht dort bleiben. Das verstehst du sicher. Ich musste mir etwas Neues suchen.«
    »Darf ich dich auf einen Kaffee einladen?«
    »Grundsätzlich gern, Meg, vielleicht ein andermal, dann können wir uns alles erzählen, was seitdem passiert ist, aber heute bin ich so in Eile, und –«
    »Es dauert nicht lange«, sagte ich entschieden. Ich schob meine Hand unter ihren Ellbogen und dirigierte sie fast mit Gewalt von der belebten Straße in das nächste Café, wo ich für mich einen Kaffee und für sie einen Kräutertee bestellte. Wir saßen an einem Tisch in der Nähe des großen Fensters. Da die Sonne hereinschien, wurde es mir schnell zu warm, sodass ich meinen Mantel auszog. Naomi öffnete bei dem ihren nicht mal einen Knopf.
    »Wie geht es Holly?«, fragte sie. »Ich hätte sie damals gerne besucht, dachte mir aber, dass es zu schmerzhaft für sie wäre.
    Ich habe gehört, dass es ihr besser geht und sie wieder arbeitet.«
    Ich würde ihr nicht die geringste Information über Holly geben. »Hast du etwas von Charlie gehört?«, fragte ich sie stattdessen.

    »Charlie? Nein. Am Anfang hat er mir Briefe aus dem Ge-fängnis geschrieben, aber ich habe sie nicht geöffnet.« Sie schauderte. »Du glaubst doch wohl nicht, dass ich noch etwas mit ihm zu tun haben möchte? Nach allem, was er Holly und mir angetan hat?«
    »Wieso, was hat er dir denn angetan?«
    »Er hat mich benutzt. Mich hintergangen. Kannst du dir vorstellen, wie ich mich gefühlt habe, als ich davon erfuhr? Der Mann, den ich liebte und mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen wollte.«
    Ich gab ihr keine Antwort, sodass ein langes, peinliches Schweigen entstand.
    »Ich weiß, was du der Polizei über mich erzählt hast«, sagte sie schließlich. »Das war verständlich. Du warst sehr aufge-bracht. Ich weiß, wie sehr du Holly immer vergöttert hast. Sie war deine große Heldin. Es tut mir Leid, Meg. Meine Beziehung mit Charlie war vielleicht nicht … Tatsache ist, dass er mir Leid getan hat. Er war damals völlig am Ende. Ich hatte das Gefühl, dass er Hilfe brauchte. Und dann habe ich mich in ihn verliebt.«
    »Charlie hat sieben Jahre bekommen«, erklärte ich. »Das heißt, dass er wahrscheinlich in vier Jahren wieder draußen ist.
    Wäre ich fünf Minuten später eingetroffen, dann hätte er bestimmt fünfzehn Jahre gekriegt. Als ich von London da hinauffuhr und Holly aus dem Wagen zog, habe ich nicht nur ihr das Leben gerettet, sondern gleichzeitig auch Charlie vor weiteren acht Jahren Gefängnis bewahrt. Und als ich dich damals fragte, ob du wüsstest, wo Charlie und Holly sich aufhielten, hast du mir ins Gesicht gesehen und Nein gesagt.
    Weil du wusstest, was Charlie vorhatte und dass er dazu Zeit benötigte.«
    »Das stimmt nicht.« Naomi nahm ein Paar Handschuhe aus ihrer Tasche und zog sie langsam an.
    »Eines würde mich noch interessieren«, sagte ich. »Wachst du nachts manchmal auf und denkst an das Ganze?«
    »Ich schlafe gut, danke der Nachfrage.«
    Sie war im Begriff zu gehen, aber dann fiel ihr noch etwas ein.
    »Hast du es schon mal so betrachtet?«, fragte sie. »Allen ging es gut, bis Holly des Weges kam. Charlie ging es gut. Er war ein lieber, freundlicher, talentierter Mann und zufrieden mit seinem Leben, bis er sie kennen lernte. Jetzt sitzt er wegen versuchten Mordes im Gefängnis. Diese Deborah war eine erfolgreiche Karrierefrau. Durch Holly hat sie nicht nur ihren Job und ihre Wohnung verloren, sondern auch einen Großteil ihres Verstandes, wenn ich richtig informiert bin. Ich habe in der Zeitung vom Prozess ihres Freundes Stuart gelesen, und dass Holly als Zeugin aufgetreten ist und mit ihrem Charme alle bezaubert hat.
    Immer noch die gute alte Holly, was? Stuart hat nur eine Bewährungsstrafe bekommen, aber er wird ihretwegen sein Leben lang vorbestraft sein.«
    »Bestimmt nicht allein ihretwegen.«
    »Diese Menschen hatten nie etwas Böses getan, bevor sie Holly über den Weg liefen. Niemand von ihnen war gewalttätig oder bösartig. Sie waren alle ganz normale Leute, die einfach nur ihr Leben führen wollten. Sie hatten lediglich das Pech, Holly zu treffen. So, wie andere Menschen das Pech haben, in einen Tornado zu geraten. Und ich hatte auch Pech.«
    »Offenbar geht es dir inzwischen aber wieder recht gut«, stellte ich fest.
    Sie betrachtete den Ring an meinem Finger. »Dir auch, wie ich sehe«, sagte sie.
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