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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe
Autoren: Nicci French
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perfekte Alibi. Es rechnen sowieso alle damit, dass sie es wieder tut, also wer sollte dahinter einen Mord vermuten?«

    »Meg«, sagte Charlie leise. »Hör auf. Bitte.«
    »Du hast sie doch mal so geliebt. Wie konnte es so weit kommen?«
    »Nicht.« Er legte doch tatsächlich die Hände über die Ohren.
    »Ich kann mir das nicht anhören.«
    »Wir fahren Sie dann gleich ins Krankenhaus, Sir«, sagte einer der Beamten zu Charlie. »Aber vielleicht kommen Sie besser noch einen Moment mit hinein.«
    Der andere Beamte klopfte ihm sogar auf die Schulter. »Ich bin sicher, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Sir«, sagte er. »Da liegt bestimmt ein Missverständnis vor.«
    Die beiden – Charlie und der kräftiger gebaute Polizist –
    gingen zusammen in Richtung Haus. Todd und ich blieben mit dem anderen Polizisten zurück, der weder misstrauisch noch zornig, noch sonst irgendwie betroffen wirkte. Er machte nur einen leicht verlegenen Eindruck, als hätte ich etwas verkompli-ziert, was ansonsten eine ganz eindeutige Situation gewesen wäre.
    »Es ist kalt hier draußen«, stellte er fest. Er war mittleren Alters und hatte ein hochrotes Gesicht, wahrscheinlich von dem bitterkalten Nordwind, der mittlerweile so heftig über die Felder pfiff, dass sich die Bäume bogen. »Wir würden alle gern wieder in die Wärme, nicht wahr? Aber vielleicht möchten Sie in Ihrem Wagen warten, während wir uns noch kurz umsehen?«
    »Sie glauben mir kein Wort, stimmt’s? Wie erklären Sie sich dann, dass ich wusste, dass sie in Gefahr war, und mit meinem Freund hier herausgerast bin, um sie zu retten? Wie erklären Sie sich das? Zufall?«
    Er schwieg.
    »Lass uns im Wagen warten«, meinte Todd. »Du musst nicht alles auf der Stelle beweisen. Du hast ihr das Leben gerettet. Das ist das Wichtigste, Meg. Sie wäre inzwischen tot, aber dank dir lebt sie noch. Sie ist im Krankenhaus. In Sicherheit.«
    Er hielt mir die Tür auf, und ich nahm auf dem Beifahrersitz Platz, ließ die Tür aber trotz der Kälte offen. Während ich so dasaß und dem Wind in den Bäumen lauschte, massierte Todd mit seinen kräftigen Fingern meinen Nacken. Ein paar Meter von uns entfernt inspizierte der Beamte den Wagen, in dem Holly fast gestorben wäre. Wir sahen den Strahl seiner Taschen-lampe durch das Wageninnere wandern. Schließlich verließ der Beamte den Wagen und ging langsam zurück zum Haus, wobei er seine Lampe auf den Weg gerichtet hielt. Ich sah, dass er weiße Handschuhe trug und etwas Flatterndes in der Hand hatte, das ich nicht genau erkennen konnte, vielleicht einen Lappen oder ein kleines Stück Stoff.
    »Eines Tages«, sagte ich zu Todd, »werden wir auf diesen Tag zurückblicken wie auf einen Traum, und es wird uns vorkom-men, als wäre das alles jemand anderem passiert.«
    Wir sahen den Polizisten wieder aus dem Haus treten und auf uns zugehen.
    »Bitte, kommen Sie doch kurz mit hinein«, erklärte er, als er uns erreicht hatte. »Mr. Carter möchte, dass Sie sich etwas ansehen, bevor wir ihn ins Krankenhaus fahren.«
    »Ich will auch mit ins Krankenhaus«, erklärte ich.
    »Bitte, kommen Sie.«
    Wir folgten ihm zum Haus. Er führte uns ins Wohnzimmer, wo noch immer die Scherben des eingeworfenen Fensters auf dem Boden lagen. Charlie saß breitbeinig in einem Sessel und hielt den Kopf in einem ganz seltsamen Winkel. Er wirkte völlig erschöpft, und als sein Blick auf mich fiel, blieb seine Miene unverändert.
    »Wo ist nun das, was wir uns ansehen sollen?«, fragte ich.
    »Ihre Freundin hat einen Abschiedsbrief hinterlassen«, erklärte der ältere Beamte. Dabei schaute er mich freundlich an.

    »Was?«, fragte ich.
    »Wir haben den Wagen untersucht. Auf dem Sitz lag ein kurzer Brief, in dem sie ihre Absicht, sich umzubringen, eindeutig ankündigt.«
    »Das kann nicht sein«, entgegnete ich. »Der Brief ist bestimmt nicht echt. Ich möchte ihn sehen.«
    »Zeigen Sie ihn ihr«, sagte Charlie.
    Der Beamte trat vor, nahm ein Stück Papier aus einer Klarsichthülle und legte es auf den Tisch. Ich erkannte Hollys auffallende Handschrift sofort. Wir machten oft Scherze darüber. Sie war Linkshänderin und hielt die Hand beim Schreiben so, als versuchte sie zu verstecken, was sie gerade schrieb. Es war immer hoffnungslos unleserlich. Nach Jahren der Übung war ich eine der wenigen, die ihr Gekrakel entziffern konnten, und musste oft als Übersetzerin fungieren.
    »Wir konnten die Schrift kaum lesen«, bemerkte der Beamte.
    »Ich kann es«,
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