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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel
Autoren: Leif Davidsen
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langen Beinen und den großen Titten.«
    »Ganz genau.«
    Tom lachte und schlug ihm auf die Schulter. John fand die Wendung, die das Gespräch genommen hatte, nicht eben ideal, aber er bewahrte seinen ruhigen Gesichtsausdruck und lächelte bloß. Als wollte er sagen: Du bist der Boß, du kannst dich aufführen, wie du willst. Wenn er lächelte, sah sein Gesicht sehr jung aus.
    »Oh, fuck « , sagte Tom. »Das geht mich nichts an. Hier draußen geht die Vergangenheit eines Mannes niemanden was an, solange er nur seinen Job macht, gottesfürchtig ist und sich von Krawallen fernhält.«
    »Sie kamen bei einem Autounfall ums Leben; da war ich sechzehn.«
    »Das tut mir leid.«
    »Es ist lange her.«
    »Wann bist du in die Staaten gekommen?«
    »Mit vierzehn.«
    »Du redest ein klein bißchen komisch, aber wer tut das nicht?«
    »Mußt du gerade sagen. Kannst du auch nur zwei Wörter rausbringen, ohne zu fluchen?«
    » Fuck, ja!«
    Sie lachten wieder. Und tranken.
    Tom sagte: »Fahr nach Hause und dusch dich! Du stinkst. Rasieren mußt du dich auch. Siehst aus wie ein Scheißterrorist oder wie ’n Outlaw.«
    »Das gehört dazu.«
    »Eben.« Tom sah ihn prüfend an. Er hatte braune Augen, die ins Schwarze hinüberspielten, wenn er besorgt oder wütend war. Im Augenblick waren sie sehr schwarz. John gefiel es immer weniger, daß Tom ihn auszuhorchen versuchte.
    »Du bist richtig gut in der Wüste«, fuhr Tom fort. »Richtig gut für einen Scheißyankee, wenn du das überhaupt bist. Wo hast du das gelernt? Warst du in der Armee?«
    »Hier und da. Von meinem Vater. Er war Jäger. Er hat die Natur geliebt.«
    »Okay. Geht mich eh nichts an. Fahr nach Hause. Nimm dir einen freien Tag. Du hast es verdient.«
    John leerte sein Glas.
    »Danke.«
    Er ging, und Tom rief ihm hinterher: »Über die Lohnerhöhung reden wir nächste Woche.«
    »Soll mir recht sein«, sagte John.
    »Cool. Der coole John, der eines Tages einfach so aufgetaucht ist. Der Mann ohne Vergangenheit.«
    John drehte sich um. Sein Gesicht war ausdruckslos, aber er zwang sich wieder zu einem Lächeln, obwohl er spürte, wie sein Puls raste.
    »Sonst noch was, Boß?« fragte er mit ruhiger Stimme.
    »Nein. Nimm ein Bad, rasier dich und grüß deine süße Anna. Aber wenn das hier so weitergeht, dann ist Essig mit dem höheren Lohn. Dann bist du arbeitslos und ich bin pleite. Scheißterroristen. Dreckige Araber. Nicht gut fürs Geschäft.«
    »Schönen Tag noch, Tom.«
    » Fuck off, John.«
    John holte sein eigenes Auto und fuhr die fünfzehn Kilometer nach Hause. Der Heimweg führte ihn durch kultiviertes ehemaliges Wüstenland. Auf penibel gepflegten Grundstücken lagen Häuser, die Wohlstand und Sicherheit ausstrahlten. Ein Amerika der Vorstädte, in dem die Zeit stillstand und das Leben vorhersehbar und gleichförmig war. Er und Anna liebten es. Hier waren sie lediglich zwei Menschen unter tausend anderen in einer anonymen Landschaft aus Einfamilienhäusern, McDonald’s, Wendy’s, K-mart, Tankstellen und Shopping-Malls. Es kam darauf an, wie alle anderen zu sein. Bis heute war ihnen das gelungen. So mußte es bleiben.
    Anna wartete an der Auffahrt zu ihrem hübschen Bungalow, der in einer baumbestandenen Nebenstraße lag. Nach amerikanischen Maßstäben war es kein sonderlich großes Haus, aber in ihren Augen hatte es alles, was das Herz begehrte. Es hätte die Kulisse für einen Film über die glückliche Mittelklasse in den USA sein können. Der Weg war still und friedlich. Ein wenig zu friedlich. Gewöhnlich radelten Kinder über die Bürgersteige, aber die Räder lagen in den Einfahrten, als hielten sich alle im Haus auf, um die neuesten Nachrichten zu verfolgen. » America under attack «stand auf den Bildschirmen. Vor den Garagen standen auch viel mehr Autos als sonst, so als wären die Männer heute morgen nicht zur Arbeit gefahren. Vielleicht weil die Flüge gestrichen worden waren oder weil die Amerikaner noch nicht so recht begriffen hatten, was eigentlich passiert war.
    Er parkte, und die Zwillinge flitzten auf ihren kleinen Beinchen auf ihn zu, weil jeder als erster bei ihm sein wollte. Sie hatten Annas schwarze Haare und glichen einander eigentlich nicht mehr als bei Geschwistern üblich. Sie waren gleich groß, hatten gleichmäßige Züge und blaue Augen, die im Kontrast zu ihrer gebräunten Haut und dem schwarzen Haar standen. Er breitete seine Arme aus, setzte sie sich rechts und links auf die Hüfte und ging Anna entgegen.
    »Daddy, du
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