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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel
Autoren: Leif Davidsen
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die Verwaltung untergebracht war, hinzu kamen zwei Reihen rustikaler, aber luxuriöser Bungalows. Alles topmodern, aber in einem bewußt altmodischen Westernstil gehalten, mit dicken dunkelbraunen Brettern und einem falschen Holzdach. Hinter dem Komplex standen Pferde in Boxen mit weißen Holzplanken davor. Die mit Klimaanlage ausgestatteten Geländewagen mit Toms Firmenzeichen hielten vor dem Hotelgebäude.
    Der Gesichtsausdruck des Angestellten, der das Gepäck der Japaner ins Haus trug, war merkwürdig versteinert. Tom Okiniewsky trat heraus. Er war ein stattlicher Mann um die Fünfzig mit einem sonnenverbrannten kahlen Schädel. Er hatte einen beeindruckenden Bauch, was nicht weiter auffiel, weil der dazugehörige Kerl so groß und breitschultrig war. Er trug Jeans, ein kurzärmliges Hemd und Cowboystiefel mit hohen Absätzen. Sein Gürtel war breit und mit einem Nietenmuster verziert. Er stammte aus Los Angeles, aber auf der Arbeit kleidete er sich wie John Wayne und übernahm auch dessen rollende Gangart. Kinderspiel, er war genauso O-beinig wie Wayne. Er mochte es, als etwas tumber Cowboy aufzutreten, der ein einfaches Leben führt, dabei war er ein mit allen Wassern gewaschener Geschäftsmann, Uniabschluß inklusive.
    Tom begrüßte die Japaner höflich und fragte, ob alles wunschgemäß verlaufen sei, und der junge englischsprachige Mann versicherte, es sei ein großartiges Erlebnis gewesen, mit John-san das Death Valley zu erkunden. Es schien alles normal, aber Toms braungebranntes Gesicht war seltsam fahl, er schwitzte mehr als gewöhnlich und kaute angespannt auf einem dieser Kaugummis herum, die bei ihm schon vor Jahren die Zigaretten abgelöst hatten.
    »Stimmt was nicht?« fragte John Ericsson.
    » Have a nice day « , rief Tom den Japanern hinterher. Sie gingen in die Lobby und blieben plötzlich stehen, anscheinend, um wie alle anderen auf das Fernsehgerät zu starren.
    »Was ist denn los, Tom?«
    »Wir werden angegriffen. Amerika wird von ein paar dahergelaufenen Terroristen angegriffen. Sie sind ins World Trade Center und ins Pentagon geflogen. Nichts geht mehr. Keine Sau weiß, wo der Präsident ist. Scheißterroristen. Aus heiterem Himmel. Wumms!«
    John begriff seine Worte nicht, aber trotz der Hitze lief es ihm kalt den Rücken hinunter. Er spürte, wie ihm die Haare zu Berge standen und sein Magen rumorte. Er hatte keinen Schimmer, wovon Tom da redete, aber er wußte genau, für ihn und Anna waren es schlechte Nachrichten.
    »Ich kapier nicht, was du sagst.«
    »Während du in deiner beschissenen Wüste warst, wurden wir angegriffen, verflucht noch mal.«
    »Von wem?«
    »Von Scheißterroristen, sag ich doch.«
    »Was für Terroristen?«
    »Weiß ich doch nicht. Ist doch auch völlig Wurscht. Wahrscheinlich irgendwelche beknackten Arabs. Oder welche von unsern eigenen rechtsradikalen Arschlöchern.«
    »Wann?«
    »Heute früh, verdammt. Gegen neun, Oststaatenzeit. Knallten einfach in die Türme. Ich hätte nie gedacht, daß mir die New Yorker irgendwann mal leid tun könnten. Dreckige Yankees, Schwule und Juden durch die Bank, aber das haben sie nicht verdient. Hier werden die Vereinigten Staaten angegriffen. Verdammt noch mal, die guten alten verfluchten Staaten. Mehrere tausend Tote. World Trade ist nur noch ein Loch im Boden.«
    Toms Hemd war schweißnaß.
    »Laß uns reingehen, da ist es kühler«, sagte John.
    »Wie kannst du nur so ruhig sein, verflucht noch mal?«
    »Ich hab immer noch nicht richtig kapiert, wovon du da redest.«
    »Du bist immer so supercool.«
    »Jetzt laß uns reingehen.«
    Die kühle Lobby kam ihm plötzlich wie ein Eisschrank vor, als er die Fernsehbilder sah, die ständig wiederholt wurden. Unwirkliche Bilder. Aus verschiedenen Perspektiven wurden Flugzeuge gezeigt, die die hohen Zwillingstürme rammten, welche kurz darauf in Schutt und Asche fielen. Wo eigentlich die Gebäude stehen müßten, sah er nur eine graue Staubwolke, die ihn an die Wüste erinnerte, wenn der Wind plötzlich den Sand aufwirbelt. Besonders ein Bild brannte sich ihm ein: kleine Menschen auf den lodernden Wolkenkratzern, die wie verwundbare Schmetterlinge auf der Flucht vor den Flammen in den Tod flatterten. Und wieder die weißen Passagierflugzeuge, die mit großer Wucht die Türme rammten und explodierten. Es war ein Film ohne Anfang und Ende.
    »Komm, wir trinken ein Bier«, sagte Tom.
    Sie gingen in die Bar und setzten sich auf ihren Stammplatz am Ende der Theke unter dem Fernsehgerät.
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