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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel
Autoren: Leif Davidsen
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riechst«, sagte Cathy.
    »Ja, Daddy, du stinkst«, sagte Jonathan.
    »Tust du wirklich«, sagte Anna und küßte ihn auf den Mund. Sie hatte einen Pferdeschwanz, ihr Gesicht sah frisch aus, und sie war nicht geschminkt. Mit der beigefarbenen Bluse über den lockeren Shorts wirkte sie jung und sportlich.
    »Du kratzt auch«, sagte Cathy fröhlich.
    »Ja, du kratzt«, wiederholte ihr knapp eine Stunde jüngerer Bruder. John setzte sie ab, faßte sie an der Hand und ging mit ihnen ins kühle Haus.
    »Weil ich in der Wüste war.«
    »Und da ist es gefährlich. Da sind Schlangen, sagt Mama. Klapperschlangen, sagt sie.«
    Der Junge war der Ängstlichere der beiden und phantasierte ständig von echten und eingebildeten Gefahren.
    »Das macht nichts. Daddy hat alles im Griff. Auch Schlangen«, sagte Jonathans große Schwester.
    John ließ sie plappern und von ihrem Tag erzählen, der so verlaufen war wie die meisten anderen Tage in ihrem Leben auch. Sie saßen in der großen Küche. Anna hatte einen Espresso gemacht. Als die Zwillinge zu Ende erzählt hatten und zu ihrem Videofilm zurückgekehrt waren, ging er ins Bad und kam frisch rasiert in einem kurzärmligen Hemd und Jeans in die Küche zurück. Anna hatte Weißbrot und etwas Aufschnitt bereitgestellt und noch einmal den Fernseher angemacht. Der wiederaufgetauchte Präsident hielt sichtlich erschüttert eine Rede. Die Verantwortlichen würden gejagt und die Gerechtigkeit werde siegen. Dann aufs neue die Bilder von dem brennenden Pentagon und den einstürzenden Türmen. Und das lodernde, rauchende Loch, das alle fast sofort Ground Zero nannten, weil dieser Begriff den Nullpunkt schlechthin bezeichnete. Man berichtete, daß die verschiedensten Polizei- und Sicherheitseinheiten der USA eingesetzt worden seien, um die Schuldigen im In- und Ausland zu finden. Vom CIA über örtliche Sheriffbüros bis hin zum FBI gab es vom ersten Tag an nur ein Ziel: Bringt die Schuldigen zur Strecke. Bestraft sie. Die Rache ist unser.
    »Mach aus«, sagte John.
    Anna schaltete den Fernseher aus: »Was bedeutet das für uns? Ich habe Angst um die Kinder«, sagte sie auf serbokroatisch.
    Sie war zu Tode erschrocken, als seine Hand wie eine Klapperschlange in der Wüste über den Tisch schnellte und ihr Handgelenk umklammerte. Er zischte sie auf englisch an: »Halt den Mund. Ich will diese Sprache nie mehr hören. Sie existiert nicht. Sprich englisch.«
    »Du tust mir weh.« Tränen standen in ihren Augen.
    Er ließ sie los, und seine Züge wurden milder. Er stand auf und trat hinter ihren Stuhl, strich ihr übers Haar, küßte sie auf den Nacken und kreuzte seine Arme sanft über ihrer Brust.
    »Anna, hör zu. Wir sind Amerikaner. Wir sind gesetzestreue Bürger, die ihre Steuern zahlen, ihren Garten in Schuß halten und jeden Sonntag in die lutherische Kirche gehen. Wir sind Anna und John. Wir sind erschüttert über das, was geschehen ist, wie alle ordentlichen Menschen, aber das sind Dinge, die dahinten im Osten passieren. Das geht vorbei. In diesem Land geht alles vorbei. Anna … hör mir zu. Wir sind Anna und John. Meine Liebste, Anna und John mit den süßen Zwillingen. Die Vergangenheit gibt es nicht mehr, wenn wir sie nicht selber heraufbeschwören. Anna und John. Das sind wir.«
    Er beugte sich über sie und merkte, wie ihr Atem ruhiger wurde. Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken und küßte ihn, ein fordernder, leidenschaftlicher Kuß, der sein Glied anschwellen ließ, daß es weh tat.
    »Papa und Mama küssen sich. Papa und Mama küssen sich richtig!«
    Sie mußten sich loslassen, weil die Zwillinge angelaufen kamen und sich zwischen sie drängten, und als er anfing sie zu kitzeln, löste sich die Situation in Gelächter und Toberei auf.
    »Warum hast du feuchte Augen, Mama?« fragte Cathy.
    »Bist du traurig?«
    »Nein, Schätzchen. Ich bin glücklich. Man kann auch vor Freude Tränen in den Augen haben. Ich freue mich, daß euer Vater nach Hause gekommen ist. Ich freue mich über euch beide. Ich freue mich über unser Haus. Ich freue mich über unser Leben. Ich bin einfach glücklich.«
    »Wir werden immer zusammenbleiben, nicht, Mama? Wir werden immer zusammenwohnen. Bis wir sterben, nicht?« sagte Jonathan.
    »Ja, mein Spätzchen. Wir bleiben zusammen, bis wir sterben«, sagte Anna und sah zu John hoch, der ihren Blick nur kurz erwiderte, damit sie den Schatten nicht bemerkte, der über seine Züge huschte. Plötzlich sah er sie verschreckt und allein in einem kroatischen
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