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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel
Autoren: Leif Davidsen
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Dorf, wo sie ihn behutsam und zärtlich von oben bis unten wusch. Es war der Abend, an dem er den kroatischen Autor liquidiert hatte. Sie hatte sein schwarzgefärbtes Haar und seinen Körper gewaschen, als könnte sie zusammen mit dem Schmutz auch das Blut und die böse Tat abspülen. Er erinnerte sich daran, wie er in ihrer gemütlichen Stube gestanden hatte, diesem weiblichen, sauberen Raum mit den Büchern und dem Nähzeug und dem orthodoxen Kruzifix über dem Doppelbett. Er konnte den Raum beinahe riechen, und er fühlte ihren Alptraum zurückkehren. Dieses grauenvolle Erlebnis, als sie fünfzehn war und ihre ganze Familie ausgelöscht wurde. Es lag in ihrem Innern verborgen, aber er fürchtete, die Dämonen könnten wieder auferstehen und ihre Seele martern. Er wußte auch noch, daß sie miteinander geschlafen hatten, er aber nicht über Nacht geblieben war. Noch ein Mal hatte er den Fluß überquert und sich auf einen Weg gemacht, der keine Vergebung verhieß, vielleicht aber Vergessen. Aber Vergessen und Erinnern sind eng miteinander verknüpft und können nicht immer kontrolliert werden. Er versuchte, die Gesichter seiner Opfer zu verdrängen, aber das gelang nicht immer. Und kein Mensch kann seine Träume kontrollieren.
    Aber nachdem die Zwillinge eingeschlummert waren und er und Anna sich geliebt hatten, träumte er seltsamerweise einen angenehmen Traum. Wie immer war Anna vor ihm eingeschlafen, bei ihm dauerte es länger, so als fürchtete er, die Kontrolle zu verlieren. Zuerst hatte er an ihre Papiere gedacht. Sie müßten eigentlich in Ordnung sein. Er hatte sie für teures Geld gekauft, aber man konnte nie ganz sicher sein, wenn die Behörden erst anfingen, ernsthaft nach Fremden zu fahnden, nach illegal aliens. Und eine Sache war ohnehin nicht zu ändern. Die Fingerabdrücke. Anna brauchte sich keine Gedanken zu machen, aber seine Fingerabdrücke würden auf ewig verraten, wer er war und weshalb er unter falschem Namen lebte. Er ging alles noch einmal durch, überzeugte sich, daß Annas Legende hieb- und stichfest war, bis er dann doch noch einschlief und von Kopenhagen im fernen Dänemark träumte. Es war ein lichter und freundlicher Traum, es herrschte ein märchenhafter Sommer. Lautlos schaukelten die großen gelben Busse durch die Stadt, und die Mädchen auf ihren Fahrrädern winkten ihm lächelnd zu. Die sauberen Straßen waren sonnenbeschienen, in den Straßencafés tranken die Leute Bier aus großen Gläsern, und der Würstchenverkäufer auf dem Rathausplatz schwenkte eine dänische Fahne. Die Passanten lachten und riefen »guten Tag« und »willkommen zu Hause«. Er verstand nicht, warum. Hier war doch nicht mehr sein Zuhause. Er begann schneller zu gehen, weg vom Rathausplatz mit dem großen schwarzen Gebäude und den fröhlichen, zufriedenen Menschen, und mit einemmal stand er am Kanal bei Christiansborg und schaute auf die kleinen Unterwasserskulpturen hinunter, die sich in dem braunen trüben Naß sachte zu bewegen schienen. Wie hießen sie doch gleich? Es war sehr wichtig, daß er sich daran erinnerte, er gab sich jede erdenkliche Mühe, aber er kam nicht darauf. Er wußte, die Antwort war von entscheidender Bedeutung. Sonst drohte ihm eine Strafe. Und die Figuren wurden zu Menschen, die die Wasseroberfläche durchstießen, und auf ihren Gesichtern bildeten sich Beulen und Wunden, die sich schließlich mit Blut füllten. Die Figuren wuchsen ins Riesenhafte und überragten schon den Brückenrand. Ihre Kleider waren voll von schleimigen Egeln und Ratten, aber es war ihr schrilles Gelächter über seine Unkenntnis der eigenen Stadt, das ihn so erschreckte, daß er laut aufschrie.
    Er war schweißgebadet und spürte Annas Hand, die ihm über das Gesicht strich, während sie ihm gut zuredete, als wäre er eines der Kinder, das aus Angst vor der Dunkelheit in ihr Bett geschlüpft war.
    »Vuk. Vuk. Vuk. Du hast nur geträumt. Kleiner Vuk. Ich bin doch bei dir. Es war nur ein Traum. Wach auf!«
    Und obwohl er nicht mehr Vuk hieß und sie die verbotene Sprache sprach, war seine Angst zu groß, als daß er hätte böse werden und ihr erklären können, daß es Vuk nicht mehr gab, weder als Name noch als Mensch. Statt dessen schmiegte er sich an ihren warmen, weichen Körper und hörte ihren besänftigenden, vertrauten Worten zu, die allmählich wieder Frieden in seine gequälte Seele einkehren ließen.
    »Agnete und der Meermann. Sie heißen Agnete und der Meermann«, sagte er, als er wieder ruhiger
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