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Der Feigling

Der Feigling

Titel: Der Feigling
Autoren: Hans Gruhl
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nahm an, er
interessiert sich für Sie und macht Theater.«
    »Wieso?«
    »In dem Alter macht man immer Theater.
Oder man tut unterkühlt. Beides paßt zur Nietenhose. Was hat er denn gesagt?«
    »Sie wären zu alt für mich.«
    »Er hat völlig recht.«
    »Wenn er vierzig wäre, würde er sich
nicht mehr mit einer Neunzehnjährigen abgeben.«
    Er lächelte in die Windschutzscheibe.
»Das wiederum würde ich für Schwindel halten. Kann er noch gar nicht wissen.
Ich kenne ‘ne Menge Vierziger — ja. Ich gebe mich auch mit Ihnen ab. Aus
Leibeskräften.«
    »Und früher?«
    »Mit älteren Damen. So dreißig.«
    »Warum?«
    »Sind nachsichtiger mit Nesthäkchen.«
    Falte und Unterlippe verschwanden.
    Der Feigling blickte herüber. »Wo haben
Sie das niedliche Kleidchen? Was ist das für ein trister Pullover? Sie sehen
aus wie Lady Chatterley.«
    »Und Sie halten sich für den Lover, was?
Ich will es bequem haben, wenn ich schon in diesem Auto sitze. Glauben Sie, ich
will den ganzen Tag den Strick von Gürtel um den Bauch haben? Rock und Pullover
sind viel schöner.«
    Ihre Lippe kam wieder vor. »Dieser
scheußliche Mai! Ich wünschte, es wäre Winter. Da kann man ganz dicke Pullover
tragen! Herrlich!«
    »Ich kann die Heizung anmachen und ›Leise
rieselt der Schnee‹ singen«, sagte er. »Es wird früh genug Winter werden.«
    Plötzlich strahlte Barbara.
    »Und vorher kommt das Oktoberfest, ja.«
    Der Feigling nickte, aber er lachte
nicht.
    Sie fuhren den ganzen Tag, bis zur
Dämmerung. In einem Seerestaurant aßen sie und fuhren weiter. Sie hatten wenig
gesprochen, aber die Zeit wurde ihnen nicht lang.
    Es war halb sechs, als der Wagen wieder
vor der Villa stand.
    Der Feigling zog die Handbremse an.
»Ende der Reise. Meine Dame, ich beglückwünsche Sie. Sie stehen unbeschädigt
vom Todessitz auf.«
    Barbara tat so, als schnallte sie
unsichtbare Sicherheitsgurte ab.
    »Ich staune selber. Sie fahren
miserabel, Häslein.«
    »Ich hab’ auch keinen Führerschein.«
    »Dafür geht’s. Was tun Sie jetzt?«
    »Ich wühle den heißen Kopf in die
Kissen und weine mich in den Schlaf. Hungrig natürlich.«
    »Natürlich. Warten Sie noch damit. Oben
habe ich etwas Kognak.«
    »Madame, Sie sprechen mit einem
Kraftfahrer! Außerdem wird mir der junge Herr den Schädel spalten bis aufs
Kreuzbein.«
    »Haben Sie Angst?«
    »Selbstverständlich.«
    »Der junge Herr ist nicht da.«
    »Ach so. Was ist es für ein Kognak?«
    »Ach, irgendeiner. Habe ich meinem
Vater geklaut. Der führt keine schlechten Marken.«
    Der Feigling stieg stöhnend aus dem
Auto. »Würde mich auch hart treffen.«
    In Barbaras Zimmer herrschte
gigantische Unordnung. Der Feigling sah sich um. Sein Gesicht drückte Entsetzen
aus.
    »Gefällt es Ihnen?«
    »Sehr. Ich würde sagen, es sieht so
aus, als wären die großen, roten Wanderameisen — die sogenannten Myrmidonen —
vor einigen Sekunden quer durch den Raum gezogen.«
    »Ach, seien Sie nicht so pedantisch.«
Sie nahm einen Unterrock von einem Stuhl weg und schleuderte ihn in die Ecke.
»Da können Sie sich hinsetzen.«
    »Kaum zu glauben«, murmelte er. »Werden
Sie die Flasche finden zwischen all den Gegenständen?«
    Barbara streckte ihm die Zunge heraus.
Sie fand die Flasche und Gläser. Der Feigling trank vorsichtig. Er wollte
sprechen, unterließ es aber.
    »Na, los! Trauen Sie sich wieder
nicht?«
    »Eigentlich nicht. Äh — Fräulein
Barbara —, ich wollte sagen... es war prima mit Ihnen heute...«
    »So.«
    »Ja. Es war — äh — sehr nett, daß Sie
mitgekommen sind... wirklich — ja.«
    »Wirklich — ja.«
    »Sie verhöhnen mich noch zu meinem
ganzen Unglück. Es ist keine Achtung vor dem Alter mehr da.«
    »Weiter.«
    »Ja — weiter.« Er trank sein Glas aus.
Barbara füllte nach. »Hm — wenn es mir gelingen sollte, mir ein Herz zu fassen...«
    »Hähä«, machte Barbara.
    »Schweigen Sie, Schlange! Ja, wenn mir
das in der Tat gelingen sollte, dann würde ich — dann möchte ich fragen, ob ich
du zu dir — ich meine, zu Ihnen sagen könnte, Fräulein Thomann...«
    Barbara blickte enorm überrascht. »Das
finde ich aber...«
    »Es ist nicht wegen des Kusses«, sagte
der Feigling hastig, »es ist eigentlich mehr wegen des Kognaks und weil das Sie
so komisch — das sagt man zu jedem, weißt du... Sie...«
    Sie hängten die Arme durcheinander. Aus
Barbaras Glas floß Kognak auf seine Hose. Er küßte sie nicht gerade
unverschämt, aber doch sehr lange.
    »Ich möchte Sie... ich
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