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Der Feigling

Der Feigling

Titel: Der Feigling
Autoren: Hans Gruhl
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lächelte wieder. »Hau schon ab.
Aber nicht zu lange, ja?«
    Er beugte sich herunter und küßte ihre
Nase. »Der Zug wird seinetwegen nicht warten. Du bist ein Engel, liebes
Fräulein. Die Whiskyflasche steht zu deiner Verfügung. Alles steht zu deiner
Verfügung. Im Kühlschrank ist Eis und Bier und Wodka, Wurst und Würstchen,
Fleischsalat...«
    »Hör auf!«
    »Ach, hier...«er drehte sich zum
Bücherschrank, riß ihn auf. »Einer von Hases unsterblichen,, zu Herzen gehenden
Spannungsromanen.« Er hielt ihr ein Taschenbuch mit glänzendem Einband hin. »Jonathan
Hare. Tote Männer stehn nicht gern. Du schläfst entweder überhaupt nicht oder
sofort.«
    »Ha! Jonathan!«
    »Das Lachen wird dir noch vergehen.« Er
zog seine Jacke an. Aus der Schublade des Schreibtisches nahm er zwei kleine
Sicherheitsschlüssel, die an einem Ring hingen, und steckte sie ein. Dann griff
er nach seinem Glas. »Sehr zum geneigten Wohle! Wenn es klingelt, mach nicht
auf, und wenn das Telefon klingelt, geh nicht dran.«
    »Warum nicht?«
    Er antwortete, ohne zu zögern, aber er
sagte nicht die Wahrheit.
    »Warum nicht? Damit noch mehr Idioten
kommen und mich von dir losreißen, wie? Einer genügt.«
    Er trank aus, ging zur Tür. Dort drehte
er sich um und betrachtete das Mädchen im Stuhl.
    »Woran denkst du?«
    »An mein Vaterland«, sagte er.
    »Vaterland?«
    »Hm. Für deine Beine könnte ich es
verraten.«
    »Warte noch damit. Und nun verschwinde.
Ich will lesen.«
    Er nickte und ging hinaus. Das Licht
verlosch auf dem Korridor, und die Tür fiel ins Schloß.
     
    *
     
    Der Feigling fuhr mit Standlicht. Es
war ganz dunkel geworden, und die Straßen waren ruhig. Er fuhr etwas schneller
als fünfzig, aber nicht so schnell, daß es aufgefallen wäre. Von der Richtung
Innenstadt und Hauptbahnhof war er abgewichen, schon nach kurzer Zeit. Willy
wohnte ziemlich weit außerhalb, in einem Vorort im Südwesten.
    Willy war krank.
    Jeder von ihnen hatte von einem anderen
einen Schlüssel. Jeder sollte auf einen anderen aufpassen und konnte nach ihm
sehen, wenn etwas nicht stimmte. Der Mann des Feiglings war Willy.
    Etwas stimmte nicht.
    Willy war noch nie ausgefallen. Er
lebte allein in einer billigen Wohnung, war nicht verheiratet. Niemand war
verheiratet, der zu ihrem Kreis gehörte.
    Willy kam aus der Tschechei, war ein
halber Sudetendeutscher. Wichtiger Mann. Kein Wunder, wenn sie ihn als ersten
erwischt hätten.
    Der Feigling bog ab auf eine
Umgehungsstraße. Er gab noch etwas mehr Gas. In weiten, regelmäßigen Abständen
huschten die Lichter über den Wagen. Das Armaturenbrett blendete in der
Dunkelheit. Er schaltete auf die schwächere Stufe.
    Verfluchter Mist. Ausgerechnet heute
abend. Zu Hause saß Barbara und wartete. Und irgendwo saß das Meisterchen und
wartete auch. Auf seinen Anruf und auf das, was Willy passiert war.
    Mehr Häuser kamen wieder in Sicht. Die
Straße wurde schlechter. Der Wagen schüttelte, und der Feigling fuhr langsamer.
Er überlegte, wo er den Wagen stehenlassen konnte, ohne daß er zu sehr auffiel.
In dieser Gegend hingen die Leute nachts noch aus den Fenstern und paßten auf,
wer aus welchem Lokal kam. Er mußte das letzte Stück bis zu Willys Wohnung zu
Fuß gehen. Davor zu parken war unmöglich. Ziemlich sicher, daß die Brüder
aufpaßten, wer nach Willy sah. Aber sie kannten ihn selbst nicht.
    Ein Hotelrestaurant war noch erleuchtet.
Davor standen ein paar Wagen, keine großen, aber wenigstens Autos. Der Feigling
ließ den Wagen langsam in eine Lücke rollen. Er schaltete die Lichter aus.
Junge Leute, die ein Moped schoben, kamen vorbei und redeten laut
durcheinander. Sonst war niemand zu sehen.
    Der Feigling klappte den Deckel des
Handschuhkastens herunter. Er griff hinein und tastete nach links in den leeren
Raum, der für das Radio gedacht war. Oben klebte ein breiter Streifen
Leukoplast. Er hielt eine kleine Pistole, eine Lignose Einhand, keine gewaltige
Waffe, sechsfünfunddreißig. Schoß elend ungenau. Er hatte die große nicht
mitnehmen können, weil Barbara im Wohnzimmer gesessen hatte, und an die im
Keller hatte er nicht gedacht. Er löste das Leukoplast, sah sich noch einmal um
und schob die Pistole in die linke innere Brusttasche. Kaum zu spüren, so
leicht war sie. Er schloß den Handschuhkasten und stieg aus.
    Langsam ging er vom Wagen weg, auf das
Restaurant zu. Ein Glaskasten mit der Speisekarte war erleuchtet. Er studierte
sie eingehend. Dann wandte er sich ab, ging langsam die
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